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Watergate im Lichte der Kapitol-Erstürmung

Titelbild: Interview mit Richard Nixon am Quai d’Orsay in Paris
Interview mit Richard Nixon am Quai d’Orsay in Paris / Ina via AFP / Ina / Aimé Dartus

Washington, USA

Von Frankie TAGGART

Vor 50 Jahren nahm die Mutter aller Polit-Skandale in den USA ihren Lauf. In der Nacht auf den 17. Juni 1972 wurden fünf Männer beim Einbruch in das Hauptquartier der Demokratischen Partei im Watergate-Gebäudekomplex in Washington erwischt. Der sich entfaltende Skandal erschütterte die USA und führte zwei Jahre später zum Rücktritt von Präsident Richard Nixon, der als Bösewicht in die Geschichtsbücher einging.

Doch ein halbes Jahrhundert später hat sich ein anderer Präsident in den Augen vieler Beobachter weitaus schwerwiegenderer Vergehen schuldig gemacht: Die USA befinden sich mitten in der Aufarbeitung des Feldzugs von Donald Trump gegen seine Wahlniederlage 2020 und den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021. Viele ziehen deswegen zum 50. Jahrestag des Watergate-Einbruchs Vergleiche zwischen Trump und Nixon – und sehen Nixon fast schon in einem milden Licht.

„Eine der Ironien ist, dass Nixon keinen Einbruch anordnen musste, um die Wahl zu gewinnen“, sagt der Geschichtsprofessor Michael Green von der University of Nevada in Las Vegas. Tatsächlich sicherte sich Nixon Monate nach dem Watergate-Einbruch, mit dem die Demokraten ausspioniert werden sollten, mit einem erdrutschartigen Wahlsieg gegen deren Kandidaten George McGovern eine zweite Amtszeit. „Und es gibt keinerlei Hinweis, dass es jemals ein Gespräch oder einen Gedanken gab, den Wahlausgang zu kippen, sollte er verlieren“, betont Green.

Trump dagegen lancierte nach seiner Niederlage bei der Präsidentschaftswahl vom November 2020 gegen den Demokraten Joe Biden eine beispiellose Kampagne, um den Ausgang der Wahl umzukehren und sich an der Macht zu halten. Trauriger Tiefpunkt war die blutige Attacke von Trump-Anhängern auf das Kapitol, als dort Bidens Wahlsieg zertifiziert werden sollte.

Trumps Kampagne der Verbreitung falscher Wahlbetrugsvorwürfe sei „ein Betrug, der sogar Nixons Vorstellungskraft übertraf“, schreiben die Enthüllungsjournalisten Carl Bernstein and Bob Woodward, die den Watergate-Skandal aufdeckten. Sie seien nach Nixon ein halbes Jahrhundert davon ausgegangen, dass nie wieder ein US-Präsident aus Eigeninteresse „auf dem nationalen Interesse herumtrampelt und die Demokratie untergräbt“, betonen die Reporter-Legenden. „Und dann kam Trump.“

Doch während Nixon wegen Watergate zurücktreten musste, blieb Trump bis zum Ende seiner von zahlreichen Skandalen und Affären geprägten Amtszeit im Weißen Haus – und ist jetzt sogar wieder der starke Mann seiner Republikanischen Partei. Bei Nixon waren es 1974 die Republikaner, die den Präsidenten zum Rücktritt drängten: Sie machten ihm klar, dass er im Kongress nicht länger auf ihre Unterstützung setzen kann und durch ein Amtsenthebungsverfahren aus dem Weißen Haus gejagt würde, sollte er nicht selbst gehen.

Fünf Jahrzehnte später hielten die Republikaner – von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen – zu Trump und verhinderten so eine Verurteilung in einem Impeachment-Prozess. Für Beobachter eine Folge der zunehmenden politischen Polarisierung der USA, die das Lagerdenken verstärkt hat.

Auch die Öffentlichkeit ist heute viel stärker gespalten als in den 1970er Jahren. „In den Zeiten von Watergate waren die Amerikaner vereint und trauten ihren Medienquellen als Teil einer nationalen Konversation“, sagt der frühere CNN-Moderator Rick Sanchez. „Heute ist das unmöglich.“

Die konservative Basis steht nach wie vor hinter Trump und ignoriert die Aufarbeitung der Kapitol-Erstürmung weitgehend. Nach Watergate schalteten teilweise 80 Millionen Fernsehzuschauer bei öffentlichen Anhörungen zu dem Skandal ein. Als vergangene Woche ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur Kapitol-Erstürmung seine erste öffentliche Anhörung abhielt, gab es nur 20 Millionen TV-Zuschauer. Der konservative Nachrichtensender Fox News verzichtete einfach auf eine Live-Übertragung.

fs/isd

© Agence France-Presse

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