Eine Hommage an zwei verstorbene Freunde
(MCvtH/CPT)
Erst Monate danach, jetzt, kann ich darüber schreiben. Weit weg- von dem Ort, an dem sich Euer physisches Ende abspielte.
Als Bernie die Diagnose Lungen-Ca bekam, wollte er nicht unbedingt aufhören zu rauchen. Er schaffte es während der 1. Chemo, die ihn letztendlich umbrachte, noch zum Zigarettenhöker an der Ecke zu gehen, um Tabak zu holen. Hülsen, paffen bis zum Ende. Das war sein Plan. Wer wollte sich anmaßen, ihm diesen letzten Wunsch zu verbieten? Als der Krebs streute, wurde Bernie fies. Später wussten wir warum, nicht, weil Bernie sich vor dem Tod fürchtete, das tat er auch, sondern eine Metastase drückte auf sein Gehirn. Mir war es egal, wo da, es war schlimm genug. Das waren die unappetitlichen Begleiterscheinungen des Sterbens auf Raten. Jeden Tag ein Stück mehr. Ich verwünschte die moderne Medizin, und fragte mich, warum gegen Krebs kein Kraut gewachsen war.
Auch, wenn man dem Tod sonst mit einer ängstlichen Neugier in so einer Situation begegnete, spätestens in diesen Minuten begann man, ihn zu fürchten. Es war Ende Dezember, als Bernie auf dem Weg in den besagten Tabakladen darüber sprach. Inoperabler Krebs, linker Lungenflügel, nahe am Herzen, der Krebs, der wahrscheinlich schon gestreut hatte. Er erzählte es eher beiläufig. Wie ein Todeskandidat, der über seine Hinrichtung sprach, vermutete Bernie den nahen Tod. Viel wichtiger war seine Angst, nicht mehr zum Tabakladen zu kommen. Davor hatte er regelrecht Panik. Bernie schien, die Tage vor Silvester, genug vom Leben gehabt zu haben. Er fürchtete sich sehr vor dem, was da kam, es war herzzerreißend. Aber er sprach nie darüber, zumindest nicht offensichtlich.
Ich kam jedoch zum Huhn-Essen vorbei. Das Huhn war grauenhaft, die Stimmung auch. Als wir Bier und Wein tranken, zu Neujahr, wussten wir, dass wir wahrscheinlich nicht mehr in der Zusammensetzung feiern würden. Ja, es war ein erster Abschied. Er war bitter.
Bernies Diagnose war das Todesurteil für Euch beide. Das war uns allen klar.
Ich war wieder in Afrika, drehen, vergaß manche Tage den Tod, der Euch ereilen sollte. Dort war der Tod auch präsent, die Flüchtlingskrise begann.
Kurz darauf war es dann der endgültige Abschied. Jeder sah, wie der Tod an Eure Tür klopfte. Wir hörten es förmlich. Mittlerweile verstand ich den Tod als ein Wunder wie die Geburt. Wie zwei schon entrückte Puppen hattet Ihr Platz genommen. Bernie saß da, rauchte eine Zigarette, aß etwas. Er war nicht mehr von dieser Welt. Bestimmt nicht, trotzdem kramte er in Erinnerungen, damals, als er aus dem Osten gekommen war. Die Vergangenheit dieser Tage tat ihm weh.
Aus Dir, Magda, war das Leben gewichen. Du warst ein Skelett geworden, das mit dem Tod Deiner großen Liebe in sich zusammensackte. Verging. Das Leben hatte Dich verbraucht. Deshalb fand ich es auch geschmacklos, widersinnig, Dich im 86. Jahr Deines Lebens, eine Stunde zu reanimieren, nach dem nächtlichen Herzversagen wenige Tage danach. Es ging um Dein Leben. Gut, zweimal die Geräte anlegen, hätte gereicht. Der Notarzt hätte seine Pflicht versehen gehabt. Sie brachten Dich zumindest lebend ins Krankenhaus, nicht bei Bewusstsein, damit Du am Mittag darauf sterben konntest. Absurd genug. Dir war klar geworden, Bernie war verloren, dann war es an Dir vorauszugehen, um ihm die Angst zu nehmen.
Bernie kam ins Hospiz, nur Tage später. Er war austherapiert, zum Sterben. Die letzte Würde, er konnte nicht mehr alleine leben. Wie auch, ohne Dich, Magda?
Irgendwann schlief er ruhig ein, nachdem er alles, was er an Erinnerungen im Leben angesammelt hatte, durcheinander warf und vergaß. Bis auf die letzte Zigarette. Es hatte etwas Tragisch-Komisches.
Vor eine viel größere Aufgabe stellte uns das, was Ihr in einem Leben angesammelt hattet. Die kleinen Dinge, die Euch den Alltag leichter gemacht hatten. Vier Saftpressen, drei Staubsauger, und ein Nähkasten. Ein Mixer. Ach, im Flur fanden sich noch zwei weitere Artgenossen mit anderen Geschwindigkeiten. Wahrscheinlich hattet Ihr die ganzen Mixer nicht mehr auf dem Schirm, dachte ich mir. Drei Bohrmaschinen sprachen aber dann ihre eigene Sprache. In diesen Tagen hörte ich Al Bowlly, als würde keinen anderen Sänger auf dieser Welt geben.
Es blieben nur wenige Gedanken und Erinnerungen an eine Zeit, die vergangen war.
Das Ende, die Abwicklung, nach dem Tod wurde zum widerwärtigen Geschacher.
Alles, was zu gebrauchen war, drapierten wir, wie in einem unwirklichen Basar
Die Interessenten gaben sich zwar die Klinke in die Hand, aber alle wollten alles umsonst, die Händler, die Schnorrer, die Sozialfälle aus der Platte, in der Ihr recht bequem die letzten Jahrzehnte gelebt hattet. Plötzlich hatte Euch jeder gekannt, konnte eine Anekdote auswendig aufsagen. Selbst die Schnapsnase aus dem 6 .Stock kam.
Da kamen sie. Schnell begriffen wir, nichts von dem, was zu Euren Lebzeiten einen Wert darstellte, hatte nun noch eine Bedeutung, weder materielle noch ideelle Substanz. Alles musste weg. Eine Art „Sommerschlussverkauf“. Selbst die Flüchtlinge, die nichts hatten, außer einem Sack voller Träume, die weiter entrückt waren, als Ihr es im Tod wart, wollten die neue Schrankwand nicht. Vom Amt bekamen sie mehr Geld. Wohlbemerkt, wir verschenkten die Dinge Eures Lebens. Verkaufen konnten wir nur an einen schrecklich gierigen Höker, die Geschirrspülmaschine und die Waschmaschine. 150 Euro für beide Geräte. Ein Russe mit seinem Adlatus kalkulierte schnell den Abtransport, er kam auf 3000 Euro, putzen sollten wir selbst danach. Er wollte die Möbel flugs raustragen. Fürs Besenreine hatte er keine Zeit. Ich schmiss ihn raus, drohte die Polizei zu holen. Er grinste und verlangte für die Anfahrt 300 Euro, ich nahm das Handy in die Hand, dann ging er.
Dann wurde mir klar, die Aasgeier waren überall. Sterben war ein soziologisches Problem für mich in den Tagen.
Besonders frech agierte ein Pärchen, die gierig auf Spenden waren, wie moderne Schmarotzer agierten sie am Rande der Legalität und nahmen alles mit, was sie tragen konnten, am liebsten hätten sie sich noch bezahlen lassen, für das, was sie da taten: Gefühlte Leichenfledderei.
Am Ende kamen die Dinge in den Container, Müll. Als wäre mit Euch auch die ganze Existenz gegangen.
Ich fühlte mich erbärmlich, Tage, bevor man Bernies Asche zu Deiner, Magda, auf das anonyme Gräberfeld streute, als der Wagen mit Euren letzten Habseligkeiten um die Ecke bog.
Da verstand ich, es war das Ende zweier Leben, die ich sehr geschätzt hatte.
PS Die Musikbox steht noch im Keller einer Nachbarin- der Amerikaner, der sie gekauft hatte, wollte diese dann doch nicht. Warum auch immer.