Berlin, Deutschland
JOHN MACDOUGALL AFP
(FILES) Dieses Dateifoto vom 1. November 2013 zeigt den deutschen Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Stroebele, wie er einen an die deutsche Regierung adressierten Brief hochhält, den er von dem ehemaligen US-Spion Edward Snowden erhalten hat, den er zuvor an einem unbekannten Ort getroffen hat, als Stroebele zu einer Pressekonferenz in Berlin kommt. Stroebele starb im Alter von 83 Jahren, wie am 31. August 2022 bekannt gegeben wurde.
Von Jürgen PETZOLD und Christina NEUHAUS
Er war Anwalt der RAF, wurde zu einem der bekanntesten Gesichtern der Grünen und meldete sich bis zuletzt bei schwierigen Themen zu Wort: Nun ist Hans-Christian Ströbele nach schwerer Krankheit im Alter von 83 Jahren gestorben. Er habe seinen „langen Leidensweg“ nicht mehr fortsetzen wollen und daher „lebenserhaltende Maßnahmen reduziert“, erklärte Ströbeles Anwalt.
Ströbeles Leben als Jurist und Politiker war reich an Wendungen und Kontroversen. Er hatte die unterschiedlichsten Funktionen inne – vom RAF-Verteidiger bis zum Parteichef der Grünen.
Der am 7. Juni 1939 in Halle geborene Sohn eines Chemikers gründete 1969 zusammen mit dem späteren NPD-Anwalt Horst Mahler das „Sozialistische Anwaltskollektiv“. 1970 trat er in die SPD ein, aus der er vier Jahre später aber wieder ausgeschlossen wurde. Grund war eine zehnmonatige Bewährungsstrafe, die er als damaliger RAF-Anwalt wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung erhalten hatte.
Ohne das Parteibuch der Sozialdemokraten avancierte der umtriebige Jurist zu einem der führenden Köpfe der links-alternativen Bewegung. Er beteiligte sich an der Gründung der Berliner „tageszeitung“ (taz) und zog schließlich 1985 als Nachrücker für die Grünen in den Bundestag ein.
Das Amt des Grünen-Bundessprechers übernahm er 1990 – und gab es wegen einer umstrittenen Äußerung zum damaligen Golfkrieg und zur Rolle Israels im darauf folgenden Jahr schon wieder ab. Er ging zurück in die Berliner Landespolitik, 1998 schaffte er über die Landesliste den Sprung in den Bundestag. Dort profilierte sich Ströbele als Grünen-Obmann im Spenden-Untersuchungsausschuss.
Umstritten blieb er weiterhin: Die Berliner Grünen verbannten ihn bei der Kandidatenaufstellung 2002 auf einen aussichtslosen Listenplatz. Ströbele aber machte aus der Not eine Tugend und entschloss sich kurzerhand zur Direktkandidatur im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg – wo er tatsächlich gewann. Es war das erste Mal, dass ein Grüner ein Direktmandat für den Bundestag errang.
Ströbele wurde mit dem Posten eines Fraktionsvize belohnt, den er bis 2009 behielt. Seinen Wahlkreis, in dem er oft auf dem Fahrrad gesichtet wurde, verteidigte er in den Jahren 2005, 2009 und – nach einer Krebserkrankung – 2013.
Ein besonderer Coup gelang Ströbele Ende 2013 – der Besuch bei Edward Snowden in Moskau. Nach diffiziler Geheimdiplomatie war es dem Grünen-Politiker gelungen, ein Treffen mit dem prominenten Ex-NSA-Geheimdienstler an dessen Aufenthaltsort zu arrangieren.
Vor der Bundestagswahl 2017 entschied sich Ströbele, aus Altersgründen nicht erneut anzutreten. Ungeachtet seines Gesundheitszustandes meldete sich der streitbare Mann mit dem charakteristischen weißen Haarschopf und dem roten Schal auch nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament immer wieder zu aktuellen Themen zu Wort.
So setzte sich Ströbele für den Wikileaks-Gründer Julian Assange ein und kritisierte dessen Festnahme in London scharf. In der Corona-Pandemie warnte er vor einer Absondern von Alten und chronisch Kranken und drohte mit dem Gang vors Bundesverfassungsgericht.
Auch in der innerparteilichen Debatte der Grünen über Waffenlieferungen an die Ukraine nach dem russischen Überfall bezog Ströbele Stellung. Die Ukraine müsse die Möglichkeit erhalten, sich zur Wehr zu setzen – gleichwohl sei ein maßvolles und gut begründetes Vorgehen notwendig.
In einem Nachruf auf Ströbele in der „taz“ schrieb am Mittwoch der Publizist Michael Sontheimer, der ebenfalls zu en Mitgründern des Blattes gehörte, jeder Mensch sei einzigartig, aber Ströbele „zählte zu den Wenigen, die nicht wirklich ersetzbar“ seien. „Wir werden dich als guten Menschen in Erinnerung behalten.“
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