Titelbild: Beispielbild Erdoğan
In der Türkei haben sich im März 2025 massive Proteste gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan entwickelt, die als die bedeutendsten Demonstrationen seit den Gezi-Protesten 2013 gelten. Diese Protestwelle wurde durch die Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu ausgelöst, einem prominenten Oppositionspolitiker der Republikanischen Volkspartei (CHP), der als gefährlichster Rivale Erdoğans für die Präsidentschaftswahl 2028 angesehen wird.
Die Ereignisse bieten einen tiefen Einblick in die aktuelle politische Lage des Landes, die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung und die Reaktionen der Regierung.Die Proteste begannen am 19. März 2025, nachdem Ekrem İmamoğlu im Rahmen einer groß angelegten Razzia festgenommen wurde. Gegen ihn wurden Vorwürfe wie Korruption, Gründung einer kriminellen Organisation und Unterstützung terroristischer Gruppen – insbesondere der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – erhoben. Diese Anschuldigungen werden von der Opposition und vielen Beobachtern als politisch motiviert betrachtet, um İmamoğlu als potenziellen Präsidentschaftskandidaten auszuschalten. Kurz vor seiner Festnahme wurde ihm zudem sein Universitätsabschluss aberkannt, eine Voraussetzung für eine Kandidatur zum Präsidentenamt, was die Spekulationen über eine gezielte Kampagne verstärkte.İmamoğlu, der seit 2019 Bürgermeister von Istanbul ist, hatte sich in den vergangenen Jahren als Hoffnungsträger der Opposition etabliert. Umfragen zufolge könnte er Erdoğan bei einer Wahl besiegen.
Seine Festnahme löste unmittelbar landesweite Empörung aus, da viele Türken darin einen Angriff auf die Demokratie und den Willen des Volkes sahen.Seit der Festnahme gehen täglich Hunderttausende Menschen in Städten wie Istanbul, Ankara, Izmir und darüber hinaus auf die Straße. Die Proteste haben sich schnell von einer Reaktion auf İmamoğlus Verhaftung zu einem breiteren Ausdruck des Unmuts über Erdoğans autoritäre Regierungsführung entwickelt. Demonstranten fordern nicht nur die Freilassung İmamoğlus, sondern auch den Rücktritt des Präsidenten. Besonders junge Menschen und Studierende spielen eine zentrale Rolle, viele von ihnen engagieren sich erstmals politisch.In Istanbul versammelten sich am 22. März laut Schätzungen der CHP über eine Million Menschen vor dem Rathaus auf dem Saraçhane-Platz, um gegen die Regierung zu protestieren. In Ankara und anderen Städten kam es ebenfalls zu großen Kundgebungen, trotz eines landesweiten Demonstrationsverbots, das Erdoğan bis zum 26. März verhängte.
Die Polizei reagierte vielerorts mit massivem Einsatz von Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen. Berichte über Festnahmen häufen sich – das Innenministerium sprach von etwa 700 Festgenommenen bis zum 23. März –, und es gibt Hinweise auf Gewalt gegen Journalisten, die über die Ereignisse berichten.Die Proteste zeigen Parallelen zu den Gezi-Unruhen von 2013, unterscheiden sich jedoch durch ihre Spontaneität und die breite Unterstützung quer durch verschiedene Gesellschaftsschichten. Neben der CHP beteiligen sich auch Anhänger anderer Oppositionsparteien sowie unabhängige Bürger. Die Demonstranten werfen Erdoğan vor, die Justiz als Werkzeug zu nutzen, um politische Gegner zu eliminieren, und kritisieren die wirtschaftliche Misere, die Inflation und den Verlust demokratischer Freiheiten.Erdoğan bezeichnete die Demonstrationen als „Straßenterror“ und drohte mit harten Maßnahmen, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. In einer Rede am 21. März sagte er: „Die Türkei ist kein Land, das auf der Straße gefunden wurde, und sie wird auch nicht dem Straßenterror überlassen.“ Er warf der Opposition vor, die Ermittlungen gegen İmamoğlu als Vorwand zu nutzen, um das Land ins Chaos zu stürzen.
Gleichzeitig wurden in mehreren Städten Demonstrationsverbote verhängt, und die Medienaufsicht drohte regierungskritischen Sendern mit Lizenzentzug bei „unwahrer Berichterstattung“.Trotz dieser Repressionsmaßnahmen hält sich die Bevölkerung kaum an die Verbote, was auf einen Verlust der Angst vor staatlicher Gewalt hindeutet. Die Regierung steht unter Druck, da die Proteste nicht abebben und internationale Kritik wächst. Die EU, allen voran Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, nannte die Festnahme İmamoğlus „äußerst besorgniserregend“, während Frankreich und Deutschland das Vorgehen als Angriff auf die Demokratie verurteilten.Trotz seiner Inhaftierung wurde İmamoğlu am 23. März von der CHP per Urwahl zum Präsidentschaftskandidaten für 2028 gekürt – ein symbolischer Akt des Widerstands. Allerdings hängt seine offizielle Kandidatur von der Bestätigung durch die regierungsfreundliche Wahlbehörde YSK ab, was bei anhaltenden Terrorermittlungen unwahrscheinlich ist. Am selben Tag setzte das Innenministerium İmamoğlu als Bürgermeister „vorübergehend“ ab, was die Proteste weiter anheizte. In Istanbul soll nun ein Stellvertreter aus der CHP gewählt werden, während Spekulationen über die mögliche Einsetzung eines regierungsnahen Zwangsverwalters kursieren.Gesellschaftliche und internationale DimensionDie Proteste sind mehr als eine Reaktion auf İmamoğlus Schicksal – sie spiegeln eine tiefere Krise wider. Die wirtschaftliche Lage in der Türkei ist prekär, mit einer Inflation von offiziell über 60 % (inofficiell weit höher), die das Leben vieler unerschwinglich macht. Dazu kommen Vorwürfe der Korruption, der Einschränkung von Pressefreiheit und der politischen Repression. Besonders junge Türken sehen in Erdoğan ein Hindernis für ihre Zukunft.International wird die Situation mit Sorge beobachtet.
Die Türkei ist ein wichtiger geopolitischer Akteur und NATO-Mitglied, doch die verhaltenen Reaktionen der EU zeigen auch die Abhängigkeit von Ankara in Fragen wie Migration und Sicherheit. Kritik aus dem Ausland könnte Erdoğan jedoch weiter unter Druck setzen, insbesondere wenn die Proteste anhalten.Die Demonstrationen gegen Erdoğan im März 2025 markieren einen Wendepunkt in der türkischen Politik. Sie zeigen, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung bereit ist, sich trotz Repressionsgefahr gegen die Regierung zu stellen. Ob diese Proteste zu einem „türkischen Frühling“ führen oder durch staatliche Gewalt niedergeschlagen werden, bleibt offen.
Für Erdoğan stellt die Situation eine der größten Herausforderungen seiner über 20-jährigen Herrschaft dar, während die Opposition in İmamoğlu einen Märtyrer und Hoffnungsträger gefunden hat. Die kommenden Tage werden entscheidend sein, um zu sehen, ob die Dynamik anhält oder die Regierung die Kontrolle zurückgewinnt.