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Ukraine

Sechs Monate Krieg in der Ukraine und kein Ende in Sicht

Donezk, Ukraine
ANATOLII STEPANOV AFP
TOPSHOT – Ukrainische freiwillige Kämpfer bereiten am 22. August 2022 inmitten des russischen Einmarsches in der Ukraine einen Mörserwerfer an einer Position entlang der Frontlinie in der Region Donezk vor. (Foto von ANATOLII STEPANOV / AFP)

Paris, Frankreich

Von Lucie PEYTERMANN und Joseph SCHMID

Vor sechs Monaten begann Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine – mit der Erwartung eines raschen Sieges. Inzwischen ist daraus ein Zermürbungskrieg geworden, und ein Ende ist nicht in Sicht – ebensowenig wie eine politische Lösung. Zum Sommerende stellt sich daher für viele die Frage, wie es in der Ukraine weitergeht.

Wie lange könnte der Krieg noch dauern?

Beide Seiten leiden enorm unter dem Krieg, die Zahl der Toten steigt stetig an. Doch keine Seite ist zum Einlenken bereit: Die Ukrainer kämpfen um ihre Unabhängigkeit als Nation, Putin will diesen „historischen Irrtum“ beenden. „Unter diesen Umständen kann niemand gewinnen“, sagt der in Moskau ansässige Politologe Konstantin Kalatschew. Der Krieg könne noch „Jahre dauern“. Dabei laufe die Zeit allerdings gegen die Ukraine, deren Wirtschaft auf Dauer zusammenbrechen könnte.

Nach Ansicht von Marie Dumoulin von der europäischen Denkfabrik ECFR könnte auch die Unterstützung der Ukraine durch ihre westlichen Verbündeten dazu beitragen, dass sich der Krieg weiter hinzieht. „Jede Seite glaubt, sie kann immer noch militärische Vorteile erzwingen“, sagt Dumoulin.

Kremlchef Wladimir Putin könnte weiter auf die Eroberung der Hafenstadt Odessa setzen und damit die Ukraine komplett vom Zugang zum Schwarzen Meer abschneiden.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wiederum könnte stärker taktische Erfolge anstreben – vergleichbar mit dem Versenken des russischen Kreuzers „Moskwa“ im April – oder versuchen, in einer Gegenoffensive einzelne Gebiete zurückzuerobern. „Das könnte die Ukrainer weiter motivieren und gleichzeitig Forderungen nach mehr Hilfe von den europäischen Partnern rechtfertigen“, sagt Dumoulin.

Kann die Ukraine weiterhin Widerstand leisten?

Nach Auffassung von Dimitri Minic vom Französischen Institut für Internationale Beziehungen stehen die Ukrainer bisher vereint hinter ihrer Regierung. „Doch dies stützt sich auch stark auf die Idee, dass der Westen der Ukraine in diesem Krieg hilft.“

Der nahende Winter dürfte die Entschlossenheit der Ukrainer allerdings auf eine harte Probe stellen. Sie müssen sich auf Kraftstoffmangel, Strom- und Heizungsausfälle einstellen – vor allem, wenn sie durch die Kämpfe aus ihren Häusern vertrieben werden. „Es wird schwer werden“, sagt auch Dumoulin. „Vieles wird davon abhängen, ob die Menschen den Winter überstehen.“

Hält Russlands Wirtschaft durch?

Trotz seiner Fehleinschätzung zur Länge seines Angriffskriegs scheint Russland bereit, die Kosten für einen langwierigen Zermürbungskrieg zu zahlen. Hinzu kommt, dass sich die Hoffnungen des Westens, Russland mit Sanktionen unter Druck zu setzen, bislang kaum erfüllen.

Laut Chris Weafer von der Beratungsfirma Macro-Advisory konnte Russland seine Exporteinnahmen, vor allem aus Öl, Gas, Kohle und anderen Rohstoffen, deutlich steigern. Zudem seien die Menschen bereits seit der russischen Annexion der Krim 2014 an die Auswirkungen von Sanktionen gewöhnt. Der Moskauer Politologe Kalatschew schätzt, dass Russland die volle Wirkung der Sanktionen ohnehin erst „in etwa fünf Jahren“ spüren wird.

Was sind die möglichen Folgen?

Sollte der Krieg über den Winter und bis ins neue Jahr andauern, wird vieles davon abhängen, ob die Unterstützung des Westens anhält – insbesondere, wenn den Wählern hier die Kosten dieser Unterstützung irgendwann zu hoch erscheinen. Laut Dumoulin könnte Putin an einem Punkt darauf setzen, dass der Westen des Krieges müde wird und einige Angebote unterbreiten, damit westliche Regierungen die Ukraine dazu drängen, den „Konflikt zu den russischen Bedingungen“ zu beenden.

Dass das ukrainische Militär bald komplett zusammenbricht, gilt als wenig wahrscheinlich. Und nur wenige Experten glauben, dass Selenskyj Verhandlungen zustimmen würde, bei denen die Ukraine nicht alle verlorenen Gebiete zurückerhält – inklusive der Krim. Und sollten Kiews Verbündete weiterhin Hilfe und Waffen zur Verfügung stellen, könnte Russlands militärische Überlegenheit nach und nach schwinden. Was dann mit Putins Rückhalt im eigenen Land sein wird, darüber lässt sich nur spekulieren.

ma/ans/cp

© Agence France-Presse

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