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Lysytschansk, Ukraine
ARIS MESSINIS AFP
TOPSHOT – Ein Mann fährt mit seinem Fahrrad zwischen zwei zerstörten Militärfahrzeugen in der Stadt Lyssytschansk in der ostukrainischen Region Donbas am 11. Juni 2022. (Foto von ARIS MESSINIS / AFP)
Kramatorsk, Ukraine
Von Anna MALPAS
Die ukrainische Armee ist nach eigenen Angaben von russischen Truppen aus dem Zentrum der heftig umkämpften Stadt Sjewjerodonezk in der Donbass-Region zurückgedrängt worden. Russland sei es „teilweise“ gelungen, die ukrainischen Soldaten zu verdrängen, teilte der ukrainische Generalstab am Montag auf Facebook mit. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verfügt derweil nach eigenen Angaben über Beweise dafür, dass die russischen Truppen bei Angriffen auf Charkiw wiederholt international geächtete Streubomben und Streuminen eingesetzt haben.
Nach Angaben des Regionalgouverneurs von Luhansk, Serhij Hajdaj, kontrolliert die russische Armee inzwischen „mehr als 70 Prozent“ von Sjewjerodonezk. Er warf den russischen Truppen vor, auch die Asot-Chemiefabrik, in deren Schutzräumen sich rund 500 Zivilisten befinden, „heftig zu bombardieren“. Laut Hajdaj versuchen die ukrainischen Behörden, einen „humanitären Korridor für die Zivilisten“ auszuhandeln. Bislang seien diese Bemühungen jedoch erfolglos geblieben.
Hajdaj hatte zuvor erklärt, Moskau versorge seine Truppen in der Region Luhansk mit „immer mehr Ausrüstung“, um Sjewjerodonezk und das benachbarte Lyssytschansk „einzukreisen“. In Lyssytschansk wurden nach seinen Angaben binnen 24 Stunden drei Zivilisten durch russische Bombardements getötet, darunter ein sechsjähriger Junge. Die ukrainischen Geheimdienste entlarvten in Lyssytschansk demnach 50 „Verräter“, die Informationen an die russischen Truppen weitergegeben hätten.
Sjewjerodonezk und Lyssytschansk sind seit Wochen Schauplatz heftiger Kämpfe. Sie sind die beiden letzten Städte in der ostukrainischen Region Luhansk, die Russland noch nicht eingenommen hat. Laut einem Sprecher der pro-russischen Separatisten ist Sjewjerodonezk „de facto“ von der Außenwelt abgeschnitten. Russische Truppen hätten am Sonntag die letzte Brücke, die die Stadt noch mit Lyssytschansk verband, gesprengt, sagte Eduard Basurin am Montag. Die ukrainischen Einheiten vor Ort hätten nur zwei Optionen: „sich zu ergeben oder zu sterben“. Gouverneur Hajdaj bestritt hingegen eine Blockade der Stadt.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte am späten Sonntagabend von intensiven Kämpfen in Sjewjerodonezk gesprochen. Die ukrainischen Truppen und die russische Armee kämpften dort „um jeden Meter“, sagte er. Armeechef Walerij Saluschny sagte, „jeder Meter von ukrainischem Land“ in der Region sei „blutgetränkt“. Doch nicht nur die ukrainische, auch die russische Armee erleide hohe Verluste.
Russland waren in den vergangenen Wochen immer wieder Kriegsverbrechen in der Ukraine vorgeworfen worden. Am Montag erhob Amnesty International neue Vorwürfe gegen Moskau. Die Menschenrechtsorganisation hat nach eigenen Angaben Beweise dafür, dass die russischen Truppen bei mindestens sieben Angriffen auf die ostukrainische Stadt Charkiw Streubomben sowie Streuminen eingesetzt haben. Diese Waffen sind durch internationale Verträge geächtet. Amnesty-Forscherin Donatella Rovera bezeichnete den Einsatz dieser Munitionen als „schockierend“ und als „völlige Missachtung des Lebens von Zivilisten“.
Präsidentenberater Mychailo Podoljak konkretisierte derweil am Montag die Forderungen seines Landes nach weiteren Waffenlieferungen aus dem Westen. „1000 Haubitzen vom Kaliber 155 Millimeter, 300 Mehrfachraketenwerfersysteme, 500 Panzer, 2000 gepanzerte Fahrzeuge, 1000 Drohnen“ seien nötig, erklärte er auf Twitter. Kiew hofft auf eine Entscheidung diesbezüglich beim Treffen der Verteidigungsminister der Ukraine-Kontaktgruppe am Mittwoch in Brüssel.
Die EU-Staaten hatten neben Waffenlieferungen kürzlich auch ein Ölembargo gegen Russland beschlossen. Russland hat laut einer am Montag veröffentlichten Analyse in den ersten hundert Tagen des Krieges 93 Milliarden Euro Einnahmen aus dem Export fossiler Brennstoffe erzielt. Die EU ist dabei laut dem Bericht des Centre for Research on Energy and clean Air (CREA) der größte Abnehmer russischen Gases und Erdöls. Die russischen Einnahmen stammen mit 46 Milliarden Euro in erster Linie aus dem Verkauf von Rohöl, gefolgt von Gas in Pipelines mit 24 Milliarden Euro.
noe/gt
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