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In der Türkei haben sich seit Mitte März 2025 massive Proteste gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan entwickelt, die durch die Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu ausgelöst wurden.
İmamoğlu, ein prominenter Oppositionspolitiker der Republikanischen Volkspartei (CHP), gilt als einer der stärksten potenziellen Herausforderer Erdoğans für die kommende Präsidentschaftswahl. Seine Verhaftung am 19. März 2025 wegen angeblicher Korruption und Verbindungen zur als terroristisch eingestuften PKK (Kurdische Arbeiterpartei) hat landesweit Empörung ausgelöst. Die Opposition und viele Bürger sehen darin einen politisch motivierten Versuch, İmamoğlu auszuschalten und die demokratischen Strukturen weiter zu untergraben.
Die Proteste begannen unmittelbar nach der Festnahme İmamoğlus in Istanbul, wo Tausende Menschen trotz eines vier-tägigen Demonstrationsverbots auf die Straßen gingen. Die Demonstranten, angeführt von jungen Menschen und Studierenden, skandierten Parolen wie „Regierung, Rücktritt!“ und „Freiheit für İmamoğlu!“. In den folgenden Tagen griff die Protestwelle auf andere Großstädte wie Ankara, Izmir und Eskisehir über. Am Abend des 20. März versammelten sich laut CHP-Vorsitzendem Özgur Özel etwa 300.000 Menschen allein in Istanbul. Die Demonstrationen wurden von der CHP organisiert, die das Vorgehen gegen İmamoğlu als „versuchten Staatsstreich“ bezeichnete.
Die Polizei reagierte vielerorts mit massivem Einsatz von Tränengas, Wasserwerfern und in einigen Fällen Gummigeschossen. Innenminister Ali Yerlikaya meldete am 21. März, dass landesweit 97 Personen festgenommen wurden. Besonders in Istanbul kam es zu Ausschreitungen, als Demonstranten Polizeibarrikaden stürmten und mit Wurfgeschossen antworteten. Erdoğan selbst sprach am 21. März von „Straßenterror“ und drohte mit harten Maßnahmen gegen die Protestierenden, die er als „Vandalen“ bezeichnete, die das Land ins Chaos stürzen wollten.Ekrem İmamoğlu ist seit seinem Wahlsieg 2019 als Bürgermeister von Istanbul ein Dorn im Auge der regierenden AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) unter Erdoğan. Er gewann die Wahl damals gegen den AKP-Kandidaten und brach damit die jahrzehntelange Dominanz Erdoğans in der Metropole. In Meinungsumfragen lag İmamoğlu vor der Festnahme teilweise vor Erdoğan, was ihn zu einem ernsthaften Gegner für die Präsidentschaftswahl machte, die ursprünglich für 2028 geplant ist, aber durch die aktuellen Ereignisse in ihrer Dynamik unvorhersehbar geworden ist.Die Vorwürfe gegen İmamoğlu – Korruption und Terrorunterstützung – werden von Kritikern als fabriziert angesehen. Kurz vor seiner Verhaftung wurde ihm am 18. März sein Universitätsabschluss aberkannt, eine Voraussetzung für die Kandidatur zum Präsidentenamt. Dies wird als weiterer Schritt interpretiert, ihn politisch auszumanövrieren.
Die CHP und andere Oppositionsparteien werfen Erdoğan vor, die Justiz als Werkzeug zu nutzen, um politische Gegner zu eliminieren.Gesellschaftliche und internationale ReaktionenDie Proteste spiegeln eine tiefe Frustration in der türkischen Bevölkerung wider, die über die Festnahme İmamoğlus hinausgeht. Viele, insbesondere junge Menschen, sind unzufrieden mit der wirtschaftlichen Lage – die Inflation liegt offiziell bei über 60 %, unabhängige Schätzungen gehen von über 100 % aus – sowie mit der Einschränkung von Freiheitsrechten und der autoritären Führung Erdoğans. Die Demonstranten fordern nicht nur die Freilassung İmamoğlus, sondern auch grundlegende politische Reformen.International wurde die Festnahme scharf kritisiert. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte sie „äußerst besorgniserregend“, während die deutsche Bundesregierung das Vorgehen als „Rückschlag für die Demokratie“ bezeichnete.
Dennoch bleibt die Reaktion des Westens verhalten, da die Türkei als geopolitischer Partner, etwa in der Flüchtlingsfrage, von Bedeutung ist.Erdoğans Strategie und mögliche FolgenErdoğan hat die Proteste als Angriff auf die öffentliche Ordnung dargestellt und ein landesweites Demonstrationsverbot verhängt, das am 22. März in Kraft trat. Zugleich wurden soziale Medien wie YouTube in einigen Regionen gesperrt, und in Istanbul wurden U-Bahn-Stationen sowie der Taksim-Platz, ein traditioneller Ort für regierungskritische Kundgebungen, abgeriegelt. Diese Maßnahmen erinnern an die Gezi-Proteste 2013, die ebenfalls brutal niedergeschlagen wurden, aber Erdoğan damals politisch überstand.
Die aktuelle Situation könnte jedoch anders verlaufen. Die wirtschaftliche Krise und der Verlust an Rückhalt selbst innerhalb konservativer Kreise schwächen Erdoğans Position. Die Proteste zeigen eine neue Entschlossenheit, insbesondere unter der jüngeren Generation, die Erdoğan als Hauptverantwortlichen für die Misere sieht. Sollte ein Gericht am Wochenende die formelle Verhaftung İmamoğlus anordnen – er soll am 22. oder 23. März einem Haftrichter vorgeführt werden –, droht eine weitere Eskalation.Die Demonstrationen gegen Erdoğan in der Türkei im März 2025 sind mehr als ein Aufbegehren gegen die Festnahme eines Oppositionspolitikers. Sie markieren einen Wendepunkt in der politischen Landschaft des Landes, in dem sich die Unzufriedenheit mit über zwei Jahrzehnten Erdoğan-Herrschaft entlädt. Ob die Proteste zu einem „türkischen Frühling“ führen oder erneut unterdrückt werden, hängt von der Reaktion der Regierung, der Standhaftigkeit der Demonstranten und dem internationalen Druck ab.
Die kommenden Tage, insbesondere das Wochenende des 22./23. März, werden entscheidend sein für die weitere Entwicklung.