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Kreuzberger Nächte sind lang
In der Berliner Hausbesetzerszene wird nicht nur der Joint rumgereicht, sondern, bevor man den nächsten Wassereimer auf den schmutzig-grauen VW-Bus der geliebten Feinde des Verfassungsschutzes kippt, auch die letzten Gerüchte ausgetauscht. „Kreuzberger Nächte“ auf ganz eigene Weise geträllert. Mit dem Urtext hat das nichts mehr zu tun. Heinrich Lummer, hier die „Hackfresse“ genannt, im Beruf Innensenator, würde den Kommunismus hinter jeder Litfaßsäule wähnen, würde er den neuen subversiven Text hören.
Dicke Luft
Das Drum-Päckchen ist leer. Die meisten rauchen Ascot, dazu schwarzen Schimmel-Afghanen. Anders kann man das Dasein in diesen Tagen der ständigen Entscheidungsschlachten nicht ertragen. Wer geht, verliert sich an den Kapitalismus, als sei es eine Krankheit, ein Virus. Der muss auch nicht wiederkommen. Das wird immer wieder gebetsmühlenartig betont.
Gebrüder Kopfschuss
Die Gerüchte drehen sich um die Campingtoilette, den Marxismus und den angeblich real existierenden Sozialismus in Ostberlin. Da regiert Honecker seit 10 Jahren. Die Arroganz des Sozialismus ist unerträglich. Mithilfe eines Apparates, der selbst im Westen gefürchtet wird. Der Stasi. Ein bislang fast gesichtsloser, der angeblich Mischa Wolf heißt, gerne nach Schweden verreist und ein Minister regieren den Staat mit eiserner Faust.
Während sich der gewöhnliche DDR-Bürger einen FIAT 132 für schlappe 18.000 DM aus dem 1980er-Genex-Katalog bestellen darf. Vorausgesetzt, er hat West-Verwandschaft, die das alles veranlasst. Hier fragen sich die neuen Bewohner in Kreuzberg, ob die Terroristen in der DDR wohl gut leben. Woher wissen die, dass die Vorstadt-Guerilleros in der DDR sind? Fraglich ist, warum man sich einen Wagen aus dem Katalog holen soll für teures Geld, wenn die Autodiebe gleich auf der Matratze nebenan Platz nahmen. Ein paar Meter weiter wird scharf geschossen, will einer in die falsche Himmelsrichtung abwandern. Das wird zwischen politisch sinnfreien Diskussionen über das Sein des Nichtsseins schlicht ausgeblendet. Die Hutträger aus dem Berliner Landesamt für Verfassungsschutz würden kein Wort glauben. Der antiimperialistische Kampf ist weder logisch noch nachvollziehbar. Allerdings, der Schmücker-Mord auch nicht mehr.
Strauß
Sonst drehen sich die Gerüchte um die Räumungen in Berlin SO 36. Irgendwann im Frühjahr meinte Strauß aus Bayern, dass Terroristen in der Hausbesetzerszene untergetaucht sind. Wenn er einmal hier aufgetaucht wäre, hätte Strauß geahnt, dass zwischen Volks-Chappie (Ravioli) und gelben Kölnflocken, verfaulten Avocados der sozialistischen Brüder aus Irgendwo (eigentlich kommen die Exponate aus Israel), sicher kein Terrorist in der Kälte auf verdreckten Matratzen, stinkenden Schlafsäcken, sitzt und Löcher in den vorstädtischen Guerilla-Traum glotzt. Über die Morde der RAF darf man nicht reden. Die gesuchten Terroristen sind keine Mörder, sondern eine Kreuzung zwischen Robin Hood und Willi, dem Freund der Biene Maja, glaubt man der Klientel hier.
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Einige Leute glauben sogar, dass in 10 Jahren die RAF einen Briefmarkensatz gewidmet bekommt. Die Terror-Aktivisten auf Briefmarken neben der orangefarbenen 40 Pf Heinemann wäre doch was für den Michel-Katalog als Fehldruck. Strauß, wie auch die Deppen, die den antifaschistischen Kampf gegen die Berliner Obrigkeit führen, sind die eigentlichen Verlierer. Strauß, weil er vollkommen verblödet ist, in diesem Punkt stehen sich die Antifaschisten und der ehemalige Hardcore-Wehrmachts-Mann in Nichts nach und die Hausbesetzer, weil sie einfach ihr Unrecht zur Politik machen wollen.
Dabei fällt es den meisten im Umfeld schwer, überhaupt Gewaltenteilung zu definieren. Aber auf Atika Zigaretten und Jacobs-Kaffee aus dem Intershop stehen sie, die Antiimperialisten. Lustig ist, dass ein Playboy neben dem Neuen Deutschland liegt. Darüber die Rocky und der besagte Genex-Katalog der Palatinus GmbH in Zürich.
Und was ist mit Rattay-der Ein-Mann-Doppelstock-Bus-Bekämpfer?
(Nachträglich eingefügt) Die Feststellung, dass Rattay ein berufsmäßiger Chaot war, ist so absurd, dass sie schon beinahe den Berliner Verfassungsschutz interessieren dürfte. Es ist ebenso absurd, einen Bundeswehr-Parka zu tragen und vom sozialistischen Glück im Gartenhäuschen in Bad Muskau an der Oder zu träumen. Die Toilette geht wieder nicht, das Wasser ist abgestellt. Draußen braut sich etwas zusammen, fragt sich nur was? Am Abend will einer der Genossen zu dem Staatsratsvorsitzenden fahren und ein paar Ostmark für westliches Dope entleihen. Seitdem Klaus-Jürgen Rattay verstorben ist, ist ohnehin nichts mehr so, wie es einmal war. Das Leben in den besetzten Häusern ist gefährlich geworden. Nicht nur hier, sondern überall in der Bundesrepublik, wo Häuser besetzt werden. Wem es als gut erzogenes Westkind zu gefährlich wird, kann sich später an der Gedächtniskirche abholen lassen. Da prügelt kein Polizist, da funktioniert die Telefonzelle. Und die Gesellschaft.