Titelbild Avro /RuthAS
Avro, ursprünglich als A.V. Roe and Company bekannt, war ein britischer Flugzeughersteller, der eine Vielzahl von Flugzeugen entwickelte, darunter auch Passagiermaschinen.
Gegründet 1910 von Alliott Verdon Roe in Manchester, spielte Avro eine bedeutende Rolle in der Luftfahrtgeschichte, insbesondere durch seine militärischen Entwürfe wie die Avro Lancaster im Zweiten Weltkrieg. Doch auch im Bereich der zivilen Luftfahrt, speziell bei Passagierflugzeugen, hinterließ das Unternehmen Spuren. Im Folgenden wird ein ausführlicher Überblick über die wichtigsten Passagiermaschinen von Avro gegeben, ihre Entwicklung, Einsatzbereiche und technischen Merkmale. Avro begann mit einfachen Konstruktionen wie der Roe I (1908), einem hölzernen Doppeldecker mit einem 24-PS-Motor, der als erstes britisches Motorflugzeug gilt.
In den frühen Jahren konzentrierte sich das Unternehmen jedoch mehr auf militärische und experimentelle Flugzeuge, wie die Avro 504, die vor allem als Trainingsmaschine bekannt wurde. Erst nach dem Ersten Weltkrieg rückten zivile Passagierflugzeuge stärker in den Fokus.Ein Beispiel aus dieser Zeit ist die Avro 594 Avian, 1920er-1930er Jahre, ein zweisitziger Doppeldecker, der ursprünglich für den zivilen Markt entwickelt wurde.
Die Avian war zwar kein Massen-Passagierflugzeug, sondern eher ein Leichtflugzeug für Touren oder private Nutzung, aber sie zeigte Avros Fähigkeit, robuste und vielseitige Maschinen zu bauen. Mit Motoren wie dem 86-PS-ADC-Cirrus-II oder dem 101-PS-Avro-Alpha erreichte sie Höhenrekorde (z. B. 5.852 Meter durch Sophie Eliott-Lynn 1927) und wurde auch für Langstreckenflüge genutzt, etwa Bert Hinklers Flug von England nach Australien 1928. Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte Avro seine Erfahrungen mit Bombern wie der Lancaster, um Passagierflugzeuge zu entwickeln.
Viele dieser Modelle basierten auf militärischen Designs, die für den zivilen Einsatz angepasst wurden. Die Avro Lancastrian entstand direkt aus der Avro Lancaster, einem viermotorigen Bomber. Ab 1943 wurde sie durch den einfachen Umbau der militärischen Ausstattung zu einem Passagier- und Frachtflugzeug umfunktioniert. Die Lancastrian war spartanisch ausgestattet, bot Platz für etwa 9 bis 13 Passagiere und hatte eine Reichweite von rund 6.400 km.
Sie wurde vor allem von der British Overseas Airways Corporation (BOAC) auf Langstrecken wie London–Sydney eingesetzt. Ihre Konstruktion blieb jedoch rudimentär, da sie im Wesentlichen ein umgebauter Bomber war, was ihren Komfort begrenzte.
Ebenfalls aus der Lancaster abgeleitet, aber mit einem größeren, kastenförmigen Rumpf, war die Avro York. Sie wurde ab 1944 sowohl zivil als auch militärisch genutzt und konnte bis zu 56 Passagiere, in dichter Bestuhlung, oder Fracht transportieren. Mit einer Reichweite von etwa 4.800 km und vier Rolls-Royce Merlin-Motoren war sie vielseitig einsetzbar. Insgesamt wurden 259 Exemplare gebaut, was sie zu einem der erfolgreicheren frühen Passagierflugzeuge von Avro machte. Sie wurde unter anderem während der Berliner Luftbrücke eingesetzt.
Die Avro Tudor war Avros Versuch, ein modernes, druckbelüftetes Passagierflugzeug zu entwickeln. Sie flog erstmals 1945 und sollte auf Transatlantikstrecken konkurrieren. Mit Platz für bis zu 60 Passagiere, je nach Konfiguration, und einer Reichweite von etwa 6.400 km war sie technisch fortschrittlich. Doch die Tudor litt unter Designproblemen und Sicherheitsmängeln – vier schwere Unfälle führten dazu, dass nur 38 Exemplare gebaut wurden. Bis 1959 wurde sie hauptsächlich als Frachtflugzeug genutzt, da sie den Erwartungen als Passagierflugzeug nicht gerecht wurde.
Avro 748In den 1960er Jahren brachte Avro mit der Avro 748 ein zweimotoriges Turboprop-Flugzeug auf den Markt, das speziell für den Regionalverkehr konzipiert war. Mit ihrem Erstflug 1960 bot sie Platz für 40 bis 58 Passagiere und hatte eine Reichweite von etwa 1.700 km. Angetrieben von zwei Rolls-Royce Dart-Motoren, war sie robust und für Kurzstrecken sowie schwierige Landebahnen geeignet. Mit 381 gebauten Exemplaren, davon 89 in Indien als Lizenzbau, war sie ein weltweiter Erfolg. Eine militärische Variante, die Andover, wurde für die Royal Air Force angepasst. Später entwickelte sich daraus die BAe ATP (Advanced Turbo-Prop), die jedoch nicht mehr direkt unter der Marke Avro produziert wurde. Die bekannteste und erfolgreichste Passagiermaschine von Avro in der modernen Zeit ist die Avro RJ-Serie, eine Weiterentwicklung der British Aerospace BAe 146. Ab 1993 von Avro International Aerospace, einer Tochtergesellschaft von British Aerospace, mitproduziert, wurde die RJ-Serie bis 2002 gebaut. Sie umfasst die Modelle RJ70, RJ85 und RJ100, die jeweils 70, 85 bzw. 100 Passagiere fassen.
Die RJ-Serie ist ein vierstrahliges Kurzstreckenflugzeug mit Hochdecker-Konfiguration und T-Leitwerk. Angetrieben von vier Lycoming LF 507-Turbofan-Triebwerken, nachfolgend der ALF 502 bei der BAe 146, ist sie für ihre außergewöhnliche Laufruhe bekannt, was ihr den Spitznamen „Whisperjet“ einbrachte. Ihre Kurzstart- und Landefähigkeit (STOL) machte sie ideal für kleine Flughäfen wie London City
Mit einer Reichweite von etwa 2.800 km und einer Reisegeschwindigkeit von 690 km/h wurde sie auf Regionalstrecken in Europa, Nordamerika und darüber hinaus eingesetzt. Betreiber wie Lufthansa CityLine, Swiss oder Crossair, die den Spitznamen „Jumbolino“ prägte, schätzten ihren geräumigen Rumpf und die Flexibilität.
Insgesamt wurden 387 Exemplare der BAe 146/Avro RJ gebaut, womit sie das erfolgreichste britische zivile Strahlflugzeugprogramm darstellt. Die Produktion endete 2001 mit der Einstellung des RJX-Projekts, einer geplanten Weiterentwicklung mit neuen Triebwerken. der britischen Avro spielte auch Avro Canada, gegründet 1945 nach der Übernahme von Victory Aircraft durch Hawker Siddeley, eine Rolle. Die Avro Canada C-102 Jetliner war ein Pionierprojekt. 1949 flog sie als erstes Strahlpassagierflugzeug Nordamerikas, nur 13 Tage nach der de Havilland Comet. Mit Platz für 36 Passagiere und einer Reichweite von etwa 2.000 km war sie für Kurz- und Mittelstrecken gedacht. Trotz ihres Potenzials wurde sie nie in Serie produziert, da sich Avro Canada auf militärische Projekte wie die CF-100 und CF-105 Arrow konzentrierte.
Avros Passagierflugzeuge spiegeln die Entwicklung der Luftfahrt wider. Von einfachen Doppeldeckern über umgebaute Bomber bis hin zu modernen Regionaljets. Während frühe Modelle wie die Lancastrian oder Tudor nur begrenzten Erfolg hatten, markierten die Avro 748 und die RJ-Serie Höhepunkte im zivilen Bereich. Besonders die RJ-Serie bleibt bis heute in Erinnerung – viele Maschinen wurden zu Frachtflugzeugen oder Wasserbombern, z. B. Avro RJ85AT, umgebaut und sind noch im Einsatz.Avro selbst fusionierte 1963 mit Hawker Siddeley, und der Name wurde später unter British Aerospace (BAE Systems) weitergeführt. Die Passagiermaschinen von Avro zeichnen sich durch ihre Anpassungsfähigkeit, Robustheit und – im Fall der RJ-Serie – innovative Technik aus, die sie zu einem wichtigen Kapitel der Luftfahrtgeschichte machen.