Titelbild: Beispielbild Berliner Luftbrücke Public Domain
Die Gladow-Bande war eine der berüchtigtsten kriminellen Gruppierungen im Nachkriegsberlin. Unter der Führung des jungen Werner Gladow, der von seinem Idol Al Capone inspiriert wurde, terrorisierte die Bande zwischen 1947 und 1949 die geteilte Stadt mit einer Serie von Überfällen, Raubzügen und Morden. Ihre Geschichte ist ein faszinierendes Beispiel für die chaotischen Zustände in der unmittelbaren Nachkriegszeit und die Auswirkungen der Teilung Berlins auf die Kriminalität. Im Folgenden wird die Geschichte der Gladow-Bande ausführlich beleuchtet.
Werner Gladow wurde am 8. Mai 1931 in Berlin-Friedrichshain als Sohn eines Fleischers geboren. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als Berlin in Trümmern lag und die Stadt unter den vier Siegermächten aufgeteilt war, herrschten Hunger, Armut und ein blühender Schwarzmarkt. Schon als 16-Jähriger begann Gladow, sich als Schwarzhändler am Alexanderplatz zu betätigen. Seine kriminelle Karriere nahm Fahrt auf, als er während einer Jugendstrafe Werner Papke kennenlernte, einen Gleichgesinnten, mit dem er bald erste Straftaten verübte.
Gemeinsam stahlen sie in 21 Fällen Waffen von Volkspolizisten an den Sektorengrenzen – ein kühner Auftakt, der Gladow den Ruf eines Draufgängers einbrachte.Mit diesen Waffen bewaffnet, scharte Gladow eine Gruppe von Jugendlichen um sich, die meisten von ihnen entwurzelte junge Männer, deren Familien im Krieg zerrüttet worden waren. Die Bande wuchs schnell von etwa zehn auf zeitweise bis zu 27 Mitglieder. Gladow, der von seinen Kumpanen „Doktorchen“ genannt wurde – eine Anspielung auf seine Schulbildung bis zur Tertia und seine angebliche Behauptung, Medizin studiert zu haben – orientierte sich stark an Al Capone.
Er wollte der „König der Unterwelt“ Berlins werden und übernahm nicht nur dessen brutale Methoden, sondern auch den Stil: Die Bande trug schwarze Maßanzüge, Budapester Schuhe und auffällige weiße Krawatten, die bald zu ihrem Markenzeichen wurden und ihnen den Spitznamen „Weiße Krawatten“ einbrachten.
Die Gladow-Bande nutzte die Teilung Berlins geschickt aus. In den Jahren 1947 bis 1949, als die Stadt in vier Besatzungszonen (sowjetisch, amerikanisch, britisch und französisch) aufgeteilt war, arbeiteten die Polizeibehörden der Ost- und Westsektoren kaum zusammen. Diese fehlende Kooperation schuf einen nahezu rechtsfreien Raum, den Gladow meisterhaft ausnutzte. Die Bande verübte Überfälle im Westteil der Stadt und flüchtete dann in den Osten, wo die Westberliner Polizei die Verfolgung abbrechen musste. Am nächsten Tag konnte es umgekehrt ablaufen: ein Raub im Osten, gefolgt von einer Flucht in den Westen.Zu den frühen Straftaten gehörten kleinere Diebstähle und das Entwaffnen von Volkspolizisten, was ihnen anfangs sogar Sympathien in der Bevölkerung einbrachte – die Volkspolizei galt als willkürlich und unbeliebt. Doch die Bande wurde zunehmend brutaler. Mit den erbeuteten Waffen begingen sie Banküberfälle, plünderten Juweliergeschäfte und Villen, stahlen Autos und schreckten auch vor Gewalt nicht zurück.
Gladow inszenierte seine Raubzüge teilweise für die Medien, hinterließ „Visitenkarten“ am Tatort und genoss die Aufmerksamkeit der Presse, die ihn als eine Art „Gentleman-Gangster“ darstellte.Die anfängliche Bewunderung der Berliner für die kühnen Aktionen der Bande schlug jedoch um, als die Gewalt eskalierte. Bei einem Überfall auf eine Streife der Volkspolizei beschaffte sich die Bande weitere Waffen, und bald gab es die ersten Schwerverletzten und Toten. Zwei Morde wurden der Bande angelastet: Der erste ereignete sich bei einem Überfall auf einen Juwelier, den Gladow auf der Flucht niederschoss, der zweite am 11. Mai 1949, als die Bande den Chauffeur Eduard Alte in seiner BMW-Limousine unter den Linden tötete, um das Fahrzeug zu stehlen. Diese brutalen Akte – insgesamt wurden über 350 Straftaten, darunter 15 Mordversuche, dokumentiert – führten zu einem Stimmungsumschwung. Aus den einstigen „Robin Hoods“ der Nachkriegszeit wurden in den Augen der Öffentlichkeit skrupellose Verbrecher.
Ein kurioses Mitglied der Bande war Gustav Völpel, ein Scharfrichtergehilfe, der in der sowjetischen Zone Todesurteile vollstreckte und der Bande als Hehler diente. Seine Verhaftung im April 1949 nach einem Überfall war der Anfang vom Ende. Zwar schwieg Völpel selbst, doch seine Ehefrau, verärgert über Gladows Weigerung, ihr den Anteil ihres Mannes an der Beute auszuzahlen, verriet der Polizei den Aufenthaltsort des Bandenchefs.Am 3. Juni 1949 stürmte die Volkspolizei die elterliche Wohnung von Gladow in der Schreinerstraße 52 in Friedrichshain. Was folgte, war ein dramatisches, etwa einstündiges Feuergefecht. Gladow, geweckt durch den Warnruf seiner Mutter („Kriposchweine!“), sprang aus dem Bett und schoss mit zwei Pistolen auf die eindringenden Polizisten. Seine Mutter unterstützte ihn, indem sie ihm die Hose hielt und die Magazine nachlud. Trotz heftigen Widerstands wurde Gladow schließlich verwundet und festgenommen, ebenso wie die meisten seiner Komplizen.Im März 1950 begann der Prozess gegen die Gladow-Bande in Ostberlin unter strenger Bewachung. Gladow, inzwischen 18 Jahre alt, zeigte sich vor Gericht unbeeindruckt und machte sogar Scherze. Doch die Richter kannten keine Gnade. Am 8. April 1950 wurde er zusammen mit zwei weiteren Bandenmitgliedern,Kurt Gaebler und Olaf Wellnit, zum Tode verurteilt, basierend auf einem Paragrafen aus der NS-Zeit, der in der DDR noch gültig war. Andere Mitglieder, wie Werner Papke, erhielten Haftstrafen. Papke stieg später aus der Bande aus, wurde Boxer und überlebte.
Werner Gladow wurde am 10. November 1950 in Frankfurt (Oder) hingerichtet – als einer der ersten Bürger der DDR. Die Hinrichtung verlief grausam: Das Fallbeil soll zweimal im Hals des 19-Jährigen stecken geblieben sein, bevor der dritte Versuch erfolgreich war.
Gladow soll während des Prozesses gesagt haben: „Einmal lass ich mir die Birne abhauen, aber das andere beede Mal, dat is Leichenschändung.“ Der Staatsanwalt fiel angeblich während der Hinrichtung in Ohnmacht.
Die Geschichte der Gladow-Bande wurde mehrfach verfilmt, etwa in „Engel aus Eisen“ (1980) von Thomas Brasch oder der Dokumentation „Die Gladow-Bande. Chicago in Berlin“ (2000). Sie bleibt ein Symbol für die gesellschaftliche Zerrüttung und die kriminellen Möglichkeiten im Nachkriegsberlin, wo Jugendliche wie Gladow in einem Klima von Chaos und Perspektivlosigkeit zu Verbrechern wurden.Die Gladow-Bande war mehr als nur eine Gruppe von Kriminellen – sie war ein Produkt ihrer Zeit. Werner Gladow, getrieben von Größenwahn und einem verzerrten Bild von Ruhm, nutzte die Teilung Berlins und die Schwäche der Nachkriegsordnung, um seinen Traum vom „Al Capone Berlins“ zu verwirklichen. Doch seine Brutalität und Rücksichtslosigkeit führten letztlich zu seinem Untergang. Die Geschichte der Bande zeigt, wie schnell aus jugendlichem Übermut eine tödliche Spirale der Gewalt entstehen kann, und wirft ein Licht auf eine dunkle Episode der deutschen Geschichte.