Von Guillaume LAVALLÉE
Titelbild Beispielbild: Auf diesem Dateifoto vom 15. Oktober 1973 gibt die damalige israelische Ministerpräsidentin Golda Meir eine Pressekonferenz während des Jom-Kippur-Krieges. Nach dem Attentat palästinensischer Bewaffneter 1972 während der Olympischen Spiele in München, bei dem 11 Israelis starben, genehmigte Meir laut dem Historiker Michael Bar Zohar die Ermordung von Leitern palästinensischer Organisationen in Europa und im Nahen Osten. (Foto: GABRIEL DUVAL / AFP)
Jerusalem, Israel
Es war ein echter Schock für die israelische Bevölkerung: die Art der Morde, die Hilflosigkeit der Athleten und die Tatsache, dass der Angriff auf deutschem Boden stattfand“, erinnert sich der frühere israelische Regierungschef Ehud Barak in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP an das Olympia-Attentat 1972. Als palästinensische Attentäter israelische Sportler in München töteten, leitete Barak eine Elite-Einheit der Armee – und war später an der Verfolgung der palästinensischen Extremisten beteiligt.
Als die Extremisten der Gruppe Schwarzer September die Athleten im Olympischen Dorf überfielen, erwogen die israelische Regierungschefin Golda Meir und Verteidigungsminister Mosche Dajan, einen eigenen Trupp zur Befreiung der Geiseln nach München zu schicken. Sie verzichteten darauf, auf deutschem Boden militärisch einzugreifen, und vertrauten auf die Sicherheitskräfte vor Ort. Doch die deutsche Polizei versagte, alle elf Israelis starben. Wieder waren Juden in Deutschland ermordet worden.
„Es gab tiefe Trauer, viel Wut und das unausgesprochene Gefühl, dass man Rache nehmen müsse“, schildert Barak die Stimmung. „Nach München wusste Golda Meir nicht, was sie tun sollte“, sagt der israelische Historiker Michael Bar Sohar. Der Auslandsgeheimdienst Mossad habe ihr geraten „den Kopf der Schlange zu zerquetschen“, also die Anführer der Terrorgruppe zu töten – egal wo sie sich aufhielten. Meir habe zunächst gezögert, dann aber dem Plan zugestimmt, sagt der Geschichtswissenschaftler.
Der Mossad begann mit der Einsatzkampagne „Zorn Gottes“. In den folgenden Monaten kamen in Rom, Paris und auf Zypern auf mysteriöse Weise Anführer des Schwarzen September und auch Angehörige der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) zu Tode. Israel bekannte sich zu keinem dieser Morde, da es offensichtlich befürchtete, seine europäischen Verbündeten zu verärgern.
Einige der Gesuchten versteckten sich in Beirut im Libanon, unter ihnen Mohammed Jussef el Nadschar, Kamal Adwan und Kamal Nasser. In der Nacht zum 10. April 1973 rückte Baraks Eliteeinheit zusammen mit Mossad-Agenten aus, um die drei Palästinenser in ihren Wohnungen im vornehmen Verdun-Viertel zu erschießen.
Die Soldaten landeten mit Booten in Beirut, die Agenten reisten als Touristen getarnt in den Libanon. Die insgesamt 15 Männer befürchteten aufzufallen. „Also beschlossen wir, vier Männer als Frauen zu verkleiden. Und da ich ein Babygesicht hatte, war ich eine der Frauen“, erzählt Barak.
„Ich trug eine Perücke, Lippenstift und blauen Lidschatten. Wir nahmen die Socken der Soldaten, um uns Brüste zu machen. Wir versteckten unsere Waffen unter unseren Jacken und Sprengstoff in den Taschen“, erinnert sich der 80-Jährige. So stürmten sie die Wohnungen, eine Schießerei begann. Die drei palästinensischen Extremisten, zwei israelische Soldaten und libanesische Zivilisten starben.
Drei Monate nach Beirut glaubte der Mossad, Ali Hassan Salameh, den Operationschef des Schwarzen September, im norwegischen Lillehammer aufgespürt zu haben. Doch statt des Gesuchten tötete der Geheimdienst einen aus Marokko stammenden Kellner. Die Mossad-Agenten waren „zu selbstsicher“ geworden, urteilt der Historiker Bar Sohar über den fatalen Fehler.
Abgesehen von der Verwechslung gelang es den Geheimdienstlern nicht, rechtzeitig außer Landes zu gelangen. Sie wurden verhaftet und saßen 22 Monate im Gefängnis. Ein Jahr später setzt der Mossad erneut einen Agenten auf Salameh an. Im Januar 1979, fast fünf Jahre nach Beginn der Mission, wird Salameh bei der Explosion seines Autos in Beirut getötet.
Auch nach dem Tod der führenden Köpfe des Schwarzen September setzt Israel die Praxis der gezielten Tötungen fort: erst während der Palästinenseraufstände, später wird im Iran ein Atomwissenschaftler mutmaßlich vom Mossad getötet.
„Nach München wurde Israel bewusst, dass, wenn es nicht von sich aus die Initiative ergreift, niemand diese Angriffe an seiner Stelle verhindern würde“, sagt Ronen Bergman, israelischer Historiker und Mossad-Experte. Er sieht eine direkte Verbindung zwischen dem Olympia-Attentat und der „Tatsache, dass Israel gezielte Tötungen als eine der wichtigsten Waffen in seiner Politik zur Verteidigung seiner nationalen Sicherheit einsetzt“.
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