Eine tägliche Momentaufnahme von März bis August 2009
(ma- EBE)
Zehrende Armut, soziales Elend und gern gezeigter Reichtum und funkelnder Luxus liegen in Bremen näher aneinander, als man vermuten mag. Einige hundert Meter entfernt, von dem glitzernden, mittlerweile auch krisenerreichten Konsumtempel des „Waterfrontcenters“, hinter wenigen Häuserschluchten, liegt an dem folgenden Gleiskörper, genau an der langen Überführung, über die Straßenbahnstation, ein unscheinbares Bürogebäude. Von diesen Bauten gibt es viele in der Republik. Fast sieht es aus wie ein Finanzamt.
Ein Kind schreit im Arm seiner Mutter.
Vor der Eingangstür links platziert ein Standaschenbecher, hastig raucht das gemischte, noch wartende, zu früher Stunde versammelte Publikum, noch eine letzte, meist gedrehte, Zigarette.
Es ist kurz vor acht Uhr morgens, an einem ganz normalen Montag in Deutschland. Im Jahr 2009, 6 Jahre nach den vollmundigen Ankündigungen ehemaligen Kanzlers Gerhard Schröders, der so genannten „Agenda 2010“, den wirren Sozialideen des Peter Hartz „Fordern und Fördern“ und seinen damals neoliberalen bahnbrechenden Ideen zum vollkommenen Sozialabbau. Das seinerzeit gefeierte i-Tüpfelchen des politischen Zynismus, des absoluten Versagens eine passende, den Gesetzen angepasste Unterschicht zu schaffen. Bewusst wurde ein Teil des Volkes der uneingeschränkten sozialen Verelendung preisgegeben.
Eckard Lange, der stellvertretende Geschäftsführer der BaGIs Bremen, bezeichnete die Hartz 4 Reform unlängst im Februar in einer Radiosendung, als „ eine Reform, die Arbeit macht, und nicht schafft.“
Es ist Ende Mai, fast Frühsommer. Die ersten Sonnenstrahlen wärmen, aber graue, schnell ziehende Wolken verdunkeln den Himmel, werfen Schatten, verheißen Regen von Westen her.
„Hier kommt eigentlich nur her, wer seinen Lebensunterhalt, aus welchen Gründen auch immer, für eine Zeit lang nicht bestreiten kann“, erzählt eine ältere Frau tonlos.
Eine Andere starrt beschämt verlegen auf den Boden. Sie ist seit vielen Monaten arbeitslos, muss einen weiteren, vom Sachbearbeiter geforderten Antrag abgeben.
“Vorne an der Annahme, das reicht mir dann für den ganzen Monat.“, stellt sie bedrückt fest. „Ich zittere immer, wenn ich hierhin gehe.“
„Die waren doch selbst einmal Empfänger, die sind doch nur schnell geschult worden.“ meint ein junger Mann sarkastisch, mischt sich in das Gespräch ein, der seine selbstgedrehte, krumme Zigarette am Aschenbecher ausdrückt.
Hier sammeln sich die Empfänger von Arbeitslosengeld II in Bremen – West. Ganz normale Menschen, jeder hat ein, sein Schicksal, ein jeder überwältigende Sorgen. Einige zermürben die Sorgen ums Überleben. Machen systematisch krank. Die Antragssteller, auch Kunden genannt, bilden nunmehr eine lange Schlange. Es scheint, wie eine nicht enden wollende Karawane der Unglücklichen, der berechtigterweise Unzufriedenen, der Unseligen, wenige halten die mitgebrachten Papiere fest in der Hand, „Immer neue Formulare, immer neue Anträge, immer neue Ausreden.“ klagt ein anderer, etwa 50 Jahre alter Mann, über sein derzeitiges Leben. „Selbst, wenn man bescheiden lebt, ab dem 20. kannst Du hungern. Das wissen die auch. Ich habe erlebt, wie sie über uns Antragssteller gespottet haben. Das hat mir unheimlich wehgetan.“
Ein Streifenwagen fährt zufällig vorbei, betont langsam. Huppelt über den unebenen Fahrbahnbelag. Die Beamten sehen sich kurz um, fahren weiter.
Einer der selbstherrlich agierenden Sicherheitsbediensteten einer privaten, angeheuerten Firma sieht nach dem illusteren Publikum, das ihn an diesem Morgen erwartet. Mit ernster Mine versucht er von dem oberen steinernen Treppenabsatz aus, die ungefähre Zahl, der so genannten Kunden zu schätzen, zählt krampfhaft. Ein dazugekommener weiterer, farbiger Kollege in einer Art flott geschneiderter Phantasieuniform, geht ihm dabei zur Hand.
Nun ist es acht Uhr, sie geben den Weg eher widerwillig frei, vorbei an der Glaskanzel, die Treppe hoch, wo die Ordnungshüter sitzen, wieder zur Annahme. Eine unfreundliche, bestimmende Frau. Mitte 30, blickt demonstrativ genervt auf die Wartenden, die sich vor der Theke anstellen.
Der Eingangsbereich ist groß, wirkt überzogen, bedrückend, zwischen den billigen Stuhlreihen, aufgestellten Infoständern. „Das sind wertlose Alibibroschüren, damit die zeigen können, wir machen doch was. Die können gar nichts hier, nicht einmal richtig schreiben, “ sagt einer der Wartenden. „Führen sich auf, wie Paschas, wie als wären sie selbst besser, eben bessere Menschen.“ Andere drehen sich um, geben dem Mann Recht, eine Frau klatscht bitter lachend Beifall. „Woran das wohl liegt?“ fragt erklärt er weiter. „Das hier ist die schlimmste BAgIS in ganz Bremen. Kein Amt in Bremen ist ärger, die machen dich fertig, weil du lebst. Daran bist du schuld. Mann, die sind so abgewichst, das kannst du dir nicht vorstellen.“ Die Schlange bewegt sich träge weiter nach vorne, hier hat sich eine sich gegenseitig duzende Subkultur entwickelt.
Die Frau hinter dem langen Tresen ist sauer. Eine junge Mutter hat etwas gefragt. Die Sachbearbeiterin will oder kann nicht antworten. Schickt die junge Mutter nochmals sinnlos weg, scherzt danach albern mit einem dazu gekommenen, älteren Kollegen.
Schreit dann der Mutter unvermittelt hinterher, sie solle den Antrag noch mal schreiben. “Das kann ja niemand lesen, können Sie nicht deutlich schreiben?“ Jemand wird an den gegenüberstehenden Kopierer geschickt. „Kopieren Sie das mal, Sie wissen doch wie das hier funktioniert!“ Der allgegenwärtige Kommandoton ist grob, brüsk.
Die ersten Nummern erscheinen auf einem Digitaltableau über den Türen der allgemeinen Sachbearbeiter. Laut ertönt ein Gong, die ersten Türen werden geknallt.
„Hier wird nicht aufgerufen, sondern die Nummer angezeigt, dann „Eingetreten“, “ erklärt eine ältere Dame im verschlissenen Trainingsanzug tonlos.
„Ein entmenschtes System der beabsichtigten sozialen Verwahrlosung, musst gleich zur AGAP gehen, die verarschen jeden hier.“ Der ehemalige Tischler ist zum vierten Mal wegen dem Antrag auf Umzug in eine andere Wohnung da, steht hinter der Dame. „Ich kriege für den Umzug eine Pauschale von 75 Euro, wenn ich Glück habe. Aber dann muss es auch gut sein, hat er (der Sachbearbeiter im dritten Stock) gesagt, beim letzten Mal, als wäre das eine besondere Gnade.“
“An kein Gesetz der Welt halten die sich hier.“ Stimmt eine junge Frau ein. „Hier verlierst du endgültig deine letzte Würde. Aber das wollen die ja, die wollen am Liebsten, dass du verreckst. Dann können sie dich aus der Kartei streichen.“
Eine zierliche Türkin steht weinend neben der Theke, die Sachbearbeiterin hinter Theke grinst sie an, blickt auf die Frau voller Verachtung. „Habe Kind,“ “Machen Sie einen
Antrag, schreiben können Sie ja wohl.“ zischt sie gewollt unfreundlich.
Die Frau mit dem bunten Kopftuch bettelt, die Dame hinter dem Tresen wendet sich dem nächsten Kunden zu. “Ja, sie nennen uns Kunden, das ist besonders gemein, weil ich meinen Hund nicht so behandeln würde, wie die uns.“ schreit dieser nach kurzer Diskussion.
Eine andere kommt aus einem Büro gestürmt, Türen knallen, sie schreit „Nazi- Schweine, “ laut, es kommt Gemurmel auf. „Eh, das sind keine Nazis, “ ruft ein Mann von dem Computerterminal der Arbeitsagentur her, der Sicherheitsdienst ist sofort zur Stelle, baut sich bedrohlich vor der nunmehr Flüchtenden auf.
Im Internet erschienen kürzlich nette Anzeigen, „es wird umgebaut, „der Kundenverkehr ist nicht eingeschränkt, wahrscheinlich dauern die Umbaumassnahmen in der BAGIS West bis Mitte März an.“ Alles Augenwischerei für die mittlerweile kritisch gewordene Öffentlichkeit Eine nervenzerreisend laute Handkreissäge läuft, ein kleines Kind im Wagen schreit auf, die Mutter weint, versucht. “Die geben mir wieder kein Geld, ich weiß nicht, wie ich mein Kind durchbringen soll. Die sind unmenschlich. Was habe ich bloß falsch gemacht?“ fragt die junge Mutter, fängt an zu weinen, lehnt sich dabei in dem Plastiksitz zurück, streichelt ihr Kind.
„Wenn du die anrufst, das Telefon ist meistens besetzt, oder niemand geht dran, wenn du mal jemanden erreichst, dann heißt es, sie haben keine Zeit.“
Der Datenschutz wird hier an dieser Theke nicht wahrgenommen.
Persönlichste, ganz intime Details müssen mit den beiden dort agierenden Sachbearbeitern erläutert, preisgegeben werden.
„Für alles werden schriftliche Anträge gestellt“, wiederholt die Angestellte noch genervter, schon aggressiv. “Persönliche Vorsprachen auf Terminabsprache hin.“
Es bildet sich eine demütigende Kultur der sozialen Entblößung, der systematischen, gewollten Erniedrigung, die die Antragssteller zur Aufgabe ihres Begehrens zwingen soll. Irgendwelche Paragrafen interessieren hier nicht. Eine andere junge Frau, um 20 Jahre alt, beklagt sich über den rüden Umgangston, weint leise, setzt sich wieder wartend zurück in den Plastikstuhl links außen.
Hartz 4 Empfänger sind an allem Schuld, sogar am Regen
„Post verschwindet regelmäßig aus der BaGiS, weder aus dem Briefkasten, oder auf dem Weg zu den Sachbearbeitern. Der Briefkasten war mal kaputt, da konnte jeder die Post rausnehmen. Hinterher machen die Sachbearbeiter die Antragsteller dafür verantwortlich und auch fertig. Haben sie endlich wieder einen Grund, dich fertig zu machen, danach suchen die doch,“ empört sich eine junge Frau.
“Der Sicherheitsdienst, der sonst immer gleich da ist, verfolgt uns bis auf die Damentoilette. Das sind aber Männer, ich gehe hier nicht mehr auf die Toilette, lieber mache ich mich in die Hose“, fügt sie noch kopfschüttelnd hinzu.
Auf die rüden Methoden des Sicherheitsdienstes wies schon am 14.08. 2008 ein Diskussionsforum hin, das die Methoden der BAGIS West im Schiffbauerweg als gelinde gesagt unmöglich bezeichnete.
Jegliche Kritik jedoch an dem System prallt ab, wird nachhaltig abgeschmettert, geändert hat sich in der Tat nichts. Eher verschlechtert, folgt man den Ausführungen der zahlreichen Betroffenen.
„Wolltest du einen Brief abgeben, hat der Sicherheitsdienst den verweigert. Der Typ hat dabei gegrinst, telefonierte mit irgendeinem seiner Freunde, ich konnte die Sprache nicht verstehen. Irgendetwas Afrikanisches. Der sagte frech, dass er von mir verlangte nochmals wiederzukommen.“
Der joviale, silbrigbärtige, gütig spielende Geschäftsstellenleiter B. macht allein die Berliner Politik achselzuckend, gleichgültig dafür verantwortlich.
Seine stets freundlichen, gut geschulten Untergebenen hätten so schrecklich viel zu tun, beklagt er –„Ich habe Mitleid mit allen, die hier arbeiten müssen.“. betont er. Da müsste jeder Antragssteller großes Verständnis zeigen, zurückstehen. Die so genannten Kunden sind an allem Schuld und wie gesagt die Politik. Er stellt seinen Sachbearbeitern einen Freibrief für schlechtes Benehmen und fehlende Umgangsformen aus, ganz zu schweigen. Zynische Beleidigungen sind der „freundliche Stil des gut geführten Hauses“ trinkt dabei genüsslich den dampfenden, frisch aufgebrühten Kaffee, lässt die Gesprächpartnerin dabei sitzen und zusehen. Am Liebsten droht unterschwellig, fragt ob man Beweise für eine Beschwerde hätte. Grinst mokant. Erblödet sich nicht einen ihm Journalisten, der vor der Tür mit Hilfeempfängern: “Die Empfänger würden dem doch alles erzählen, dafür gibt es schließlich Geld, das die gut gebrauchen“ Beliebig mahnt er mit Sanktionen an, sollte man sich über ihn oder seine Leute beschweren. Er sagt es nicht direkt, aber indirekt, man versteht ihn sehr gut.
Beschwerden über sein gut geschultes Personal stehen niemandem zu. „Aber das würde das Klima nicht wesentlich verbessern, zwischen dem antragsstellenden Kunden und dem Sachbearbeiter,“ versucht er nochmals diplomatisch eine mutmaßliche Rechtsbeugung durch eine weitere folgende nachhaltige Einschüchterung zu rechtfertigen. Gewöhnlich zieht das, die Beschwerdeführer kuschen. Das scheint das gewollte Konzept zu sein.
Ein eigens mitgebrachter Zeuge, wer auch immer, darf dem Gespräch, dem belehrendem Monolog des Geschäftsstellenleiters nicht beiwohnen, „Dann kann man ja nicht in Ruhe sprechen!“ versichert B. freundlich.
Der gesetzlichen Beratungspflicht kommt hier niemand nach, warum auch, wenn das methodische Tun und Handeln, nichts mehr mit irgendwelchem behördlichem Recht an sich zu tun hat oder haben muss.
„Dazu ist keine Zeit“, schnauzt der Sachbearbeiter im Annahmebüro barsch aggressiv. „Klären Sie das alles mit Ihrem zuständen Sachbearbeiter ab, wenn Sie ihren Termin haben. Das geht jetzt nicht. Gehen Sie!“ fordert er einen ratsuchenden Kunden auf. Hier von Kunden zu sprechen, die als illustre Nummern erscheinen, gipfelt den Zynismus, verletzt die Antragsteller noch mehr.
Willkürlich werden die Bezüge gekürzt, die 351 Euro monatlich, soweit herabgesetzt, bis nichts mehr zum Leben bleibt. “Gehen Sie zur Tafel, da bekommen Sie etwas zum Essen. Vergessen Sie den Euro nicht, den können Sie sich irgendwo leihen.“ „Wenn man nun niemanden hat, bei dem man sich den Euro leihen kann,“ erklärt eine andere junge Frau resigniert.
„Wenn Du Dich wehrst, dann erfinden die einfach was, oder wenn Du etwas anderes meinst als die, dann holen die die Polizei, zumindest drohen die Dir das an. Dann kuschst Du.“
Mitte Mai 2009. Ein langer Flur im Dienstgebäude der Arbeitsagentur am Doventorsteinweg in Bremen. Hinter einer der Türen im zweiten Stockwerk, hinter der bequemen Sitzinsel um die Ecke verbirgt sich die zentrale Beschwerdestelle der Arbeitsagentur Bremen. Sie ist resolut, durchaus freundlich, aber abweisend, wahrscheinlich nennt sie ihr verhalten ziel- und lösungsorientiert.
An diesem Morgen wird gefeiert, was bleibt dahingestellt. Eine Anspruchsstellerin, die der persönlichen Willkür einiger Sachbearbeiter in der BAgIS West ausgesetzt ist, wird, nachdem sie auf die im Büro der Frau L. kredenzten Torten und Kuchen, bei anheimelndem Kerzenschein blicken durfte, im rüden und barschen Ton, fortgesandt. Die Tür zur Feier derer geschlossen, die sich an sich dem Schicksal beschwerter BAGIS Empfänger widmen sollten. Die geplante Bürofeier scheint in diesem Moment wichtiger, vielleicht hat jemand Geburtstag.
Der Versuch einer Klärung bleibt fruchtlos. Spätestens da gibt jeder auf.
„Dabei ging es nur um einen sinnlosen Gutschein für einen Kühlschrank. Allen Ernstes hatte der zynische und menschenverachtende Geschäftstellenleiter B. mir empfohlen, unter Ermahnung, ich solle immer schön sachlich bleiben, in der Zukunft, mein gesamtes Kühlgut zu meinen Nachbarn zu bringen. Sicherlich würden die sich darüber freuen, witzelte er herum.“
p>Die junge Frau resümiert: „Danach bekam ich einen wertlosen Gutschein über 70 Euro, mein Sachbearbeiter Herr Jürgen N. nannte mir Märkte, wo ich angeblich neue Kühlschränke für diesen Preis erwerben konnte. Die haben mich ausgelacht. Die wollten noch zusätzlich Geld für den Kühlschrank haben, sagten den Zettel könnte ich in den Papierkorb werfen, der wäre nichts wert.“ Beim 20. Händler hatte sie dann endlich Glück, aber dieser gab ihr den Kühlschrank, auch eher nur aus tiefem Mitleid.
Resigniert verabschiedet sie sich kurz darauf. Läuft in eine unbestimmte Zeit, ist auf das Wohlwollen einiger völlig inkompetenter und despotisch agierender Beamter angewiesen.