Washington, USA
von Lucie AUBOURG
Sonnencreme, Insektenschutz und die App Sharktivity sind in diesem Sommer wohl die wichtigsten Strand-Accessoires an der Ostküste der USA. An deren Badestränden hat die Zahl der Weißen Haie in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Was ein Erfolg für den Artenschutz bedeutet, führt gleichzeitig zu mehr ungewollten Begegnungen zwischen Hai und Mensch. Experten zufolge könnte die Häufung der Hai-Sichtungen auch mit der Erderwärmung zusammenhängen.
Jeden Sommer schwimmen Weiße Haie die Atlantikküste der USA hinauf in Richtung Neuengland. Gregory Skomal, Fischereiwissenschaftler aus dem US-Bundesstaat Massachusetts, glaubt, dass Maßnahmen zu ihrem Schutz nach jahrelanger Überfischung dafür gesorgt haben, dass ihre Zahl wieder steigt.
Etwa 300 Exemplare des größten Raubfischs der Welt wurden über die Jahre mit einem Peilsender versehen. Zehn von ihnen hielten sich derzeit vor den Stränden von Cape Cod auf, sagt Skomal. Er schätzt, dass jedes Jahr etwa hundert Weiße Haie durch die Gewässer um die bei Urlaubern beliebte Halbinsel von Massachusetts ziehen.
An den Touristenorten von Cape Cod sind die Tiere eine große Attraktion, sie schmücken Baseballkappen und T-Shirts. Doch Strandsperrungen nach Hai-Sichtungen in Küstennähe erinnern eher an den Kultfilm „Der Weiße Hai“, der in den 70er Jahren in der Region gedreht wurde.
Ein wichtiger Grund für die steigende Zahl von Sichtungen sind die Seehunde, deren Population sich ebenfalls durch Schutzmaßnahmen erholt hat und die auf der Speisekarte der Haie ganz oben stehen. „Wenn mehr Haie in der Nähe der Küste ihr Futter finden und mehr Menschen dort schwimmen, dann steigt die Aussicht auf unerwünschte Begegnungen“, sagt Skomal.
Ein Mittel, derartige Begegnungen zu vermeiden, ist die Atlantic White Shark Conservancy Sharktivity App, die Informationen über Hai-Sichtungen bereitstellt. Im Bundesstaat New York hat Gouverneurin Kathy Hochul zudem nach ungewöhnlich vielen Attacken durch Tiger- und Bullenhaie vor Long Island zusätzliche Überwachungspatrouillen angekündigt. Dabei sollen auch Drohnen und Hubschrauber eingesetzt werden.
Laut Gavin Naylor, dem Leiter eines Hai-Forschungsprogramms an der Universität von Florida, hängen die Attacken damit zusammen, dass in diesem Jahr bestimmte Fische, die Raubfische anziehen, möglicherweise aufgrund von warmen Strömungen vermehrt vor der Küste von Long Island vorkommen.
Jährlich sterben weltweit etwa fünf Menschen bei Hai-Angriffen. An der US-Ostküste gab es in den vergangenen 20 Jahren nur zwei Todesfälle: 2018 in Cape Cod und 2020 im Bundesstaat Maine. Die Zahl wird in Zukunft jedoch zunehmen, warnt Naylor: „Es gibt mehr Weiße Haie, folglich wird auch die Wahrscheinlichkeit tödlicher Bisse steigen.“
Weiter südlich, in Florida mit seinen zahlreichen Touristenstränden und seinem tropischen Klima, ist die Zahl der Hai-Angriffe noch viel höher: Dort werden nach wie vor 60 Prozent der Hai-Angriffe in den USA registriert – und 40 Prozent der weltweiten Attacken.
Dabei sind Haie bei weitem nicht die blutrünstigen Monster, als die sie beispielsweise in „Der Weiße Hai“ dargestellt werden. Studien haben gezeigt, dass sie manchmal Surfer und Schwimmer mit ihrer üblichen Beute verwechseln. Das gilt insbesondere für Weiße Haie, die ziemlich schlecht sehen können.
„Angesichts der vielen Menschen, die sich weltweit im Wasser aufhalten – würden Haie sie als Beute bevorzugen, hätten wir jedes Jahr zehntausende Attacken“, sagt auch Experte Skomal.
Üblicherweise geht die Hai-Saison an der Ostküste der USA von August bis Oktober. Doch Skomal geht davon aus, dass sich dieser Zeitraum aufgrund der steigenden Ozeantemperaturen nach und nach weiter ausdehnen wird.
ma/ans
© Agence France-Presse