Titelbild: Beispielbild: Der ehemalige deutsche Innenminister Gerhart Baum spricht mit Journalisten nach einer Pressekonferenz über eine Initiative, die die Freilassung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange aus der britischen Auslieferungshaft fordert, am 6. Februar 2020 in Berlin. / AFP / John MACDOUGALL
Hamburg, Deutschland
Von Sebastian BRONST
In einem Alter, in dem andere längst ihren Ruhestand genießen, ist Gerhart Baum weiter unermüdlich unterwegs. Als Vorkämpfer für Bürgerrechte besucht der frühere Bundesinnenminister und ehemals führende Vertreter der FDP noch immer fleißig Talkshows und gibt Interviews. Aber nicht nur das. Auch als Anwalt ist Baum, der am Freitag 90 Jahre alt wird, weiterhin im Einsatz.
So war er jüngst als Interessenvertreter der Angehörigen der israelischen Opfer des Anschlags bei den Olympischen Spielen in München 1972 an einer auch politisch brisanten Mission beteiligt. Gemeinsam mit dem Team seiner Düsseldorfer Anwaltskanzlei verhandelte er mit der Bundesregierung, um rechtzeitig zum 50. Jahrestag im September eine Einigung über eine Entschädigung herbeizuführen.
Das allerdings war nur eine der vielen aktuellen Baustellen des agilen, nach wie vor messerscharf analysierenden Manns in der jüngeren Zeit. Unter anderem stellte er Strafanzeige gegen Russlands Staatschef Wladimir Putin wegen des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Und nach wie vor äußert er sich gern zu innenpolitischen Debatten und „seiner“ FDP.
„Irgendwas treibt mich“, sagte Baum vor einigen Tagen bei einem Auftritt in der ARD-Talkshow „Maischberger“. Und schmunzelnd fügte er hinzu, dass seine Frau manchmal aufstehe und frage: „Willst Du heute wieder die Welt verbessern?“
Baum kommt am 28. Oktober 1932 in Dresden als Kind einer bildungsbürgerlichen Familie zur Welt. Naziherrschaft und der Zweite Weltkrieg verursachen einen dramatischen Bruch. Unmittelbar nach den verheerenden Luftangriffen auf Dresden kurz vor Kriegsende flieht Baums Mutter mit ihren Kindern nach Bayern, parallel dazu stirbt der Vater in Kriegsgefangenschaft an Typhus.
Zunächst in Bayern, später dann in Köln setzten der damals Zwölfjährige und seine Familie zunächst völlig mittellos neu an. Jene Zeit beeinflusst auch seine Entwicklung zum Kämpfer für Rechtsstaatlichkeit und Freiheit, wie er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erzählte. Er habe sich gesagt: „So ein Unrechtsregime, so ein Krieg darf nicht wieder passieren, daran musst du mitwirken.“
Beruflich tritt Baum in die Fußstapfen seines Vaters und wird Rechtsanwalt. 1954 schließt er sich der FDP an, in der er mit der Zeit als Nachwuchstalent mit dem Zeug für höchste Ämter gilt. Sein Durchbruch kommt in der Zeit der sozialliberalen Bonner Koalition. Zunächst wird er zum Staatssekretär im Bundesinnenministerium, 1978 überträgt ihm Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) die Leitung des Ressorts. Bundesinnenminister bleibt Baum bis 1982.
Für einen liberalen Verfechter von Freiheitsrechten ist es gerade in Zeiten des RAF-Terrors kein leichtes Amt, von konservativer Seite wird er scharf attackiert. Durch den Seitenwechsel der FDP hin zur Union, die das Ende der damaligen SPD-Bundesregierung besiegelt und Helmut Kohl (CDU) zum Kanzler macht, verschieben sich die politischen Koordinaten für Baum dann massiv.
Baum lehnt die von der FDP-Führung vollzogene Hinwendung zur Union ab. Ein Angebot Kohls, in dessen neuer Regierung Justizminister zu werden, schlägt er aus. Er bleibt zwar Bundestagsabgeordneter, gerät in der FDP aber zusehends an den Rand. 1994 scheidet Baum nach 22 Jahren aus dem Bundestag aus.
Zunächst arbeitet er mehrere Jahre als Leiter der deutschen Delegation bei der UN-Menschenrechtskommission. Später nimmt er seine Anwaltstätigkeit wieder auf und nutzt Prozesse als Mittel in seinem Kampf für Bürgerrechte.
Bekannt wird Baum nach der Jahrtausendwende vor allem als Mitinitiator von erfolgreichen Verfassungsbeschwerden gegen Gesetzespakete wie den sogenannten Großen Lauschangriff oder die Vorratsdatenspeicherung. Aber sein Einsatzgebiet ist viel breiter. Er tritt in das Team einer Düsseldorfer Anwaltskanzlei ein und widmet sich der Vertretung von Verbraucher-, Anleger- und Opferrechten.
So unterstützt Baum frühere NS-Zwangsarbeiter aus Osteuropa in ihrem Ringen um Entschädigung ebenso wie er Angehörige von Opfern des 2015 durch einen Pilotenselbstmord verursachten Absturzes einer Germanwings-Flugzeugs vertritt. Und an Ruhestand denkt er auch weiterhin nicht, wie er bei „Maischberger“ sagte. Die Arbeit halte ihn „jung – oder zumindest jünger“.
bro
© Agence France-Presse