Nur ein einzelnes Schicksal
Während sich die Politik um die großen Geschehnisse in der Welt zu kümmern scheint, gibt es Jugendliche, die vollkommen unter die Räder der Zeit geraten. Darüber muss man sich dieser Tage in der Tat nicht wundern.
Dann kommt die Frage, die weder rassistisch noch menschenverachtend zu verstehen ist: Warum kümmert sich die Politik nicht auch einmal um diese Fälle? Für alles und jeden hat Berlin einen Rat, jedoch, was ist mit dem einzelnen Schicksal der Menschen?
Wo hört das soziale Netz auf?
Wo fängt dieses unsichtbare Netz eigentlich an?
Das Leben des Hauptprotagonisten spielt in Süddeutschland dieser Tage. Wenn man die Geschichte zuerst hört, will man diese nicht glauben, doch es ist das Leben vieler in diesen doch schwierigen Zeiten.
Irgendwann weiß Tillmann(*) an diesem Morgen nicht mehr weiter. Die Situation überforderte den 20-Jährigen komplett. Es würde jeden Menschen mit reichlich Lebenserfahrung überfordern.
Vor zwei Tagen ist eine weitere Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gekommen, Schwarzfahren in etlichen Fällen.
Nun ist guter Rat teuer.
Da ist eine vollkommene Perspektivlosigkeit, mittlerweile auch eine absolute Motivlosigkeit zu spüren, wenn man mit dem jungen Mann spricht.
Das Telegramm des Lebens
Im Telegrammstil hört sich das Leben, das er bis jetzt lebte, etwa so an: Mit 9 Jahren wegen häuslicher Gewalt aus der Familie genommen, Streit bei den Pflegeeltern über das damals vollkommen zerrissene Leben eines Kindes, das selbst nicht mehr wusste, wohin. Tillmann schien im Leben nicht willkommen Der Kindesvater irgendwo abgetaucht, die Mutter mit einem Gehirntumor mit 38 Jahren in einem Hospiz verstorben, die Schwester magersüchtig, Monate später auch dem Leiden erlegen.
Eine Entscheidung des Jugendamtes über den weiteren Lebensweg war bereits gefällt. Es wurde über Kindeswohlgefährdung fabuliert, vielleicht war dem auch so. Das Kind rebellierte, drohte mit Gewalt- und Zornesausbrüchen als sich die Pflegeeltern trennten, eigentlich wurde der dann damalige Jugendliche einfach, wie ein Gegenstand mit durchgeschleppt. Bis zu dem Tag, an dem er in eine weitere Pflegefamilie kam, es war wie Billard spielen. Tillmann war zu einer Kugel auf dem grünen Tisch geworden. Irgendwann war er für die neue Familie auch untragbar. Wieder wurde er abgeschoben, diesmal in eine Jugendschutzstelle.
Ein wenig Ruhe zeichnete sich ab, als er in eine Familie in den Breisgau kam. Auch dieses Engagement klappte mit dem damals 17-Jährigen nicht, dann wurde er straffällig. Was Jugendliche eben so machen, wenn ihnen die Führung fehlt.
Steile Karriere
Tillmann fing an zu kiffen, zu stehlen, kleinere Einbrüche, Unterschlagungen von Geldbeträgen von 5 Euro, die er zweckgebunden verwenden sollte.
Dann der erste Raub mit Körperverletzung zusammen mit Mittätern. Die Beute: ein Handy für 20 Euro.
Tillmann kehrte in die Heimat zurück und lebte fortan in Hotels, auf der Straße, 17 Jahre alt und im Hotel, einmal musste er in anderes Hotel umziehen, um dort weiter verwahrt zu werden. Anders konnte man es nicht mehr bezeichnen.
Kurz danach der zweite Raub, diesmal, eine Beute, die selbst das Gericht nicht erklären konnte. Der Wert konnte nicht ermittelt werden.
Der erste Dauerarrest für 14 Tage, als „Warnschussarrest„, der eigentlich eine Freiheitsstrafe ist und war.(vgl.Höynck/Ernst 2015, S. 123) Danach der erste, eher dilettantische Einbruch in ein Geschäft, zusammen mit einer genauso agierenden Mittäterin.
Der nächtliche Beutezug brachte 150 Euro und ein paar Päckchen Tabak, weil das erhoffte Geld nicht in dem Ladenlokal zu finden war.
Weil das Duo nicht erwischt worden war, ging es gleich zum nächsten Einbruch. Diesmal kein Tabak, jedoch Elektronik, Handys, Laptops und Kameras etc.
Noch einmal wurde nach §35 BtmG, die Strafe zur Bewährung ausgesetzt, wenn er sich einer Drogentherapie unterzog. Wieder kam eine gewisse Ruhe in das Leben des Jungen, der dann sogar Hartz 4 bezog und mit einer Freundin zusammenzog. Die beiden bekamen ein Kind, das verstarb. Tillmann ertrug das Leben kaum noch. Er arbeitete in einem Geringbeschäftigungsverhältnis, ehe er nach Trennung von seiner Freundin ganz abglitt.
Er lebte Monate bei einem Kollegen, hatte Schulden bei dubiosen Inkassoinstituten, die für ebenso dubiose Partnervermittlungen vollstrecken wollten. Letztendlich fuhr er schwarz, ohne Zukunft, ohne Perspektive. Seine Halbwaisenrente wurde nicht weiter bearbeitet, weil er einfach Unterlagen nicht beibringen konnte. Hartz 4 wurde gestrichen, weil er durch die Eingliederungsvereinbarung verpflichtet war, sich um die Halbwaisenrente zu kümmern und weil er damit überfordert war, rauchte er lieber einen Joint. Über eine Ausbildung dachte er nicht nach, weil die elementaren Voraussetzungen bis jetzt fehlten.
So drehte sich das Leben einen jungen Menschen im Kreis. Wer Abhilfe schaffen kann, ist nicht klar.
Eigentlich wird er weiter hin- und hergeschoben.
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(*)Name von der Redaktion geändert