Südafrikanische Tagebücher der 1980-er Jahre (1. Band)
Ein Gedicht aus Pietermaritzburg, vom 21. Dezember 1984
Wo ist die Freiheit?
Gab es diese überhaupt?
Oder war sie nur ein Trug, ein seltsames, unbekanntes Versprechen,
bereit jederzeit dieses zu brechen.
Es ist heiß, die Freiheit schmilzt im Tiegel der Macht,
während der allgemeine Held weiterzieht, mordet und lacht,
das südafrikanische Volk erwacht.
Auf der Straße liegt ein Toter, ein zweiter Blutiger daneben,
Fliegen umschwirren den Platz ohne Leben,
diesen gefühllosen Ort,
Schreie und Wehklagen, es war Mord, es war Mord!
Der Tod der Freiheit geht um, wie ein dunkler, nicht fassbarer Geist,
ist es die Liebe zur Freiheit, die uns den Glauben an diese weist?
Marinella Charlotte van ten Haarlen
Der „Schwarze Mann“ namens Pieter Willem Botha
The Song is you – Jack Denny 1932
Kroonstad, Oranje Vrystaat, Republiek van Suid Afrika
Nun sitze ich in diesem furchtbaren Hotel mit Tausenden von Moskitos an der Straße nach Bloemfontein. Buchstäblich in der Mitte von Nirgendwo. Und, ich muss noch weiter. Der weg auf der Ladefläche des Pick-ups, gestern, war beschwerlich.
Ich habe Harold eben angerufen, im Büro. Das Gespräch wurde gesteckt über die Vermittlung, wahrscheinlich hört der Zensor mit. Die Leitung wurde mehrfach unterbrochen. Es sind etwa 28 Grad Außentemperatur.
Harold sagt, ich solle sofort rüberkommen. Er kann es kaum fassen, dass ich da bin. Harold freut sich wie ein Schneekönig. Wenn er überhaupt weiß, was ein solcher ist. Alle sprechen hier Afrikaans, es fällt mir leicht. Gott sei Dank habe ich gelernt. Die Schwarzen sprechen isiXhosa, Bantudialekte und Fanakalo, das die Weißen hier Kafferkitchen nennen. Ziemlich verächtlich. Untermensch ist noch das freundlichste, was die Hardliner hier über die Bevölkerungsmehrheit denken und auch aussprechen. Viele Einheimische suchen Schatten unter den Bäumen an der Straße.
Das Department van die Binnelandse Sake wirft nicht nur in der Vormittagssonne lange Schatten.
Moment der Ruhe
So ein Frühstück, wie heute Morgen, habe ich in meinem Leben noch nie gesehen.
Es waren bestimmt sechs Eier und ein riesiger Würstchenringel. Es heißt Boerewors. Das Fleisch schmeckte vorzüglich, anders als in Europa. Besser. Viel besser.
Dazu gab es gebratene Tomaten, Speck, Toast mit salziger Butter, herrlich bittere Marmelade, über die ich mir eine Limette träufelte.
Es kann nicht bitter genug sein.
Der Mond, den ich letzte Nacht sah, ist auf der ganzen Welt der gleiche Mond.
Die Schwarze hat sich zu mir gesetzt, an den Tisch zur Küche. Das schwarze Mädchen ist allein, sonst wäre es nicht möglich. Es ist verboten. Etwas wie Fraternisieren, nach dem Krieg.“Slegs vir Blanke!“
Nur für Weiße!
Wegen der Apartheid.
Sie kommt aus der Stadt Pietermaritzburg. In Natal am Indischen Ozean. Die Klimaanlage brummt und scheppert. Im Radio laufen uralte Lieder, wie Bert Lown – Loving You The Way I Do
Jambok
Hier ist es wie in einer Kolonie. Eine ziemlich schöne, aber böse Kolonie. Richtig böse Kolonie. Die Blauuniformierten sind überall mit ihren gelben Einsatzfahrzeugen unterwegs. Da wird schon mal die Reitpeitsche gezogen, allerdings nicht gegen Pferde, sondern gegen die Passanten auf der Straße.
In der Nacht sind vor dem Fenster Panzer vorbeigerollt. Armee über Stunden in Erdbraun bis zum Morgengrauen über der Kalahari. Ich hörte Radio, Musik, Springbok-Radio.
Die Frau, die Afrikaans, manchmal ganze Sätze in Fanakalo, mit mir sprach, von dem ich nur die Hälfte verstand, meinte so in etwa:
„Wenn man ein neues Leben beginnen will, muss man stark sein.“ Ich schämte mich eher die für Südafrika richtige Hautfarbe vom Schicksal bekommen zu haben. Es ist eine üble Diktatur, das ist mir nach paar Stunden schon klar.
Ich trank bestimmt einen Liter Litschisaft zum Frühstück und einen riesigen Becher sehr bitteren, aber durchaus schmackhaften Kaffees. Dazu diese unglaublich wundervolle Musik, die wie Honig in meinen Ohren ist.
Nach meinem Abenteuer von gestern war ich ganz froh, dass ich heute mal morgens Musik hören konnte. Diese Musik von Jack Denny geht mir nicht mehr aus dem Ohr.
Gestern war ich noch in Johannesburg. Egoli, Stadt auf Gold gebaut. Brennende Barrikaden auf der Straße nach Vanderbijlpark. Männer, die wie tot auf der Straße lagen. Sie waren tot. Toter ging es nicht. Gehirn und Blut waren überall. Knochenreste. Die Windschutzscheibe des Hiace war zerschossen. Es lagen eine Menge Munition und Hülsen auf der Straße. Die Körper der armen Kerle waren so verdreht, dass man denken konnte, Gummimännchen lagen dort. Der Tod ist hier allgegenwärtig.
Der beinahe eine Stunde währende Anflug auf Johannesburg, nach Germiston(Jan Smuts Lughawe) war gigantisch. Man konnte die Abraumhalden sehen. Riesige Berge, weiß und sie glänzten im Sonnenlicht. Strahlen inmitten der roten, sehr sandigen Erde Afrikas.
Nun bin ich hier. Der Ventilator sirrt im gleichen tiefen Ton wie die Panzermotoren. Es ist ein erschreckendes Geräusch inmitten der Stille.
Und das Lied ist wieder in meinen Ohren.
Tee unter dem Schatten von Steve Biko
Der Redakteur nahm sich Zeit. Er erzählt aus den 1950er-Jahren, als er über Europa reiste. Es ist fast Mittag, wir essen Sandwiches mit Majonäse-Huhn und trinken Kaffee, Limonade, dazu Litchi-Saft, der hier alles heilt. Dann Rooiboschtee mit Milch und Zucker. In der Redaktion traut niemand dem anderen über den Weg.
Es liegt etwas in der Luft.
Der Hagere sprach lange mit mir und gab mir eine Telefonnummer. Eine Schwarze servierte uns danach noch einen Tee mit Zitrone.
Ein ernster Mann, der meinte, ich sollte erst einmal ankommen. Alles geht hier um Muldergate. -Ich soll ihn in den nächsten Tagen anrufen. Er lädt mich zu einem Braai ein. Und dem Boerendans
Der Bure ist ein Kettenraucher von der übelsten Sorte. Er rauchte Lexington, 30 Zigaretten reichten ihm den halben Tag.
Über ihn wird erzählt, dass er mit der Regierung in Pretoria nicht zurechtkommt.
Es herrscht ein Klima der Angst. Das ist gewollt.
Welcher normale Mensch kommt mit Nazis zurecht, die die Hautfarbe zum Kriterium ihrer Politik machten?
Etliche Male wurde er schon verhaftet. Ich wurde gewarnt, dass jeden Moment eine Jambok-Einheit über die Redaktion herfallen könnte. Irgendein Spinner meldete sich immer wieder zu Wort.
Und, bitte? Mein jugendlicher Leichtsinn erstaunt mich schon. Aber Nazis Kante bieten, ist eine Ehre.
Die SAP kam und nahm missliebige Redakteure mit.
Auf der Straße wirkt alles friedlich, die SAP patrouilliert.
Warum auch nicht, dachte sich der, der die Reitpeitsche in der Hand hatte. Die rechte Hand saß immer locker am Pistolenhalfter. Seit der Potgieter Kommission war das Verhalten der Polizei eher wie das eines Spitzelapparates.
„Der Mord an Journalisten ist hier nichts Außergewöhnliches, wenn wir an Steven Biko denken.“
Ich wusste nicht viel über Biko, ich fragte. Er gab kaum eine Antwort, aber gab mir einen Ordner mit Artikeln, Afrikaans und Englisch.
Pieter Botha war wie der böse Mann, der einen holen kam, las man die teilweise vergilbten Artikel.
Ich sitze stundenlang an der Wawiel Bridge, lesen, am Monument aus dem Burenkrieg.
Hier gab es KZ´s, die die Briten im Burenkrieg einrichteten.
Nazis gibt es auch noch.
Was tun sich Menschen an?
Es kommen lebende Mumien aus Angola zurück. Soldaten, die nur noch leben, weil sie eben essen, atmen und trinken und schlafen, ihre Augen sind ausdruckslos. Vorhin sind welche an mir vorbeigefahren in einen Radpanzer „Kaspir„. Richtung Welkom, Thabong, das bei den Soldaten wie ein Schimpfwort klingt.
Es wird dunkel über dem Dornengestrüpp, das am Rande der Stadt den Abschluss zur Karoo bildet.