Fukushima
Bremer fürchten sich vor den täglichen Schlagzeilen, den TV- Übertragungen.
Eine älterer Herr, der sich noch lebhaft an die Zeit Tschernobyl erinnert sagt: „Die Folgen dieser atomaren Katastrophe werden erst in Generationen offensichtlich. Die haben nur Angst um sich und den Verlust der Macht.“
Dann dreht er sich um und geht.
„Stellen Sie sich vor, 100.000 Kinder in Japan sind obdachlos!“, sagt die Mutter eines kleinen Mädchens.
„Die sagen uns doch alle nicht die Wahrheit, wie auch, da haben die doch kein Interesse dran. Wir zahlen für Beruhigungspillen, die die Politiker uns tagtäglich verpassen.“
„Der Staatsfeind Nummer 1, wir, die Bürger werden beruhigt!“, sagt ein anderer. Er winkt nur noch ab.
Was aus Japan aller Stunde gemeldet wird, erinnert eher an einen Plot aus einem schlechten 1950er Jahre B- Movie über Godzilla und seine unheimlichen Freunde aus grauer Vorzeit.
Tapfere japanische Soldaten, die wie, nunmehr im echten Leben, die Opfer der abnormen biblischen Katastrophe unermüdlich retten. Explodierende Meiler, deren digitale Bilder in der Übertragung nur noch mit Grauen, mit gelebtem Entsetzen, zur Kenntnis genommen werden können.
Jedoch, das heutige Monster selbst ist unsichtbar.
Fukushimas Reaktoren sind außer Kontrolle, melden die Agenturen. Daiichi wird zum schlussendlichen Symbol des Endes. Der heute viel zitierten, kanzlerischen Zäsur jeglicher Bemühungen der internationalen Atomlobby, sich auf weitere satte Gewinne freuen zu dürfen.
Aber auch die Energiekonzerne, die innerhalb einer zunehmenden, zum Teil vehement bekämpften, militanten Eskalierung seit dem Anfang der 80 er Jahre auf die Polizei setzen konnten, die die Gegner der Atompolitik aus dem trüben Herrschaftsbereich der Konzerne vertrieb, reagieren wie auf Kommando aus Berlin.
Leichen im Keller
EnBW (Energie Baden-Württemberg AG) betonte in einer heute veröffentlichten Pressemitteilung ihr Kernkraftwerk GKN 1, das seit 1976 in Betrieb ist, vom Netz nehmen zu wollen. Andere Betreiber folgten bundesweit mit insgesamt sieben Reaktoren. Isar I in München, Neckarwestheim I, Philippsburg in Baden-Württemberg, Biblis A und B in Hessen, sowie Unterweser in Niedersachsen, das nicht mehr am Netz befindliche AKW Brunsbüttel in Schleswig-Holstein. In den nächsten Tagen soll großzügig abgeschaltet werden. Das kann ohnehin niemand kontrollieren.
Zumindest von denen, die sich fürchten.
Von der „ergebnisoffenen und gründlichen Aufarbeitung der offenen Dialogbereitschaft mit der Politik zur Zukunft der sogenannten Altanlagen“ ist da die Rede.
Aber leider nur von den Altanlagen, nicht von den neuen Atommeilern, die am Netz sind und den Betreibern Milliarden garantieren.
Fast mitleiderregend klingt die Aussage der EnBW: „Seit der Inbetriebnahme des Kernkraftwerks GKN 1 hat die EnBW mehr als 900 Millionen Euro in die Anlage investiert.“
Genaue Zahlen konnten in diesem Zusammenhang nicht genannt werden.
Zwei Drittel mehr als die Baukosten, sollen es gewesen sein.
Fraglich ist, warum nicht nach den jahrelangen Auseinandersetzungen mit der Bevölkerung, dem damaligen politischen Setzling der Grünen, seit dem Ende der 1970 er Jahre nicht in regenerative Energien gesteckt wurden. Ein astronomischer Betrag, mit dem man Windparks hätte errichten können, ohne sich das Volk zum Staatsfeind Nummer 1 zu stilisieren.
Den Staat gegen die Meinung des Volkes zu mobilisieren. Dabei gehen einem die Bilder von Brokdorf und anderen Orten durch den Kopf.
Demonstranten, die im Strahl der Wasserwerfer seinerzeit kriminalisiert wurden.
Bequem wollte man es haben, gut verdienen.
Nun wird vor dem Superwahljahr beschwichtigt, niemand will den politischen Tsunami, die dem inneren Beben des Volkes, auch in Deutschland entspricht, auf sich nehmen. Deshalb wird mal kurz vorübergehend abgestellt, nicht aus zu vermutender Vernunft, sondern aus der Angst um Prozente der Macht.
So deutlich wurde noch selten gehandelt.
Vielleicht auch, um weiteren unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen.
EnBw Konzernsprecherin Friederike Eggstein stellt den Atomkonsens nicht Frage.
Warum auch?
Der Konzern verhandelt mit denen, die um ihre Prozente bei nächsten Wahl fürchten. Nicht mit denen, um die es eigentlich geht, den Bürgern.
„Die Regierung vertritt ja die Bürger!“, sagt Eggstein selbstbewusst.
„Natürlich“, räumt sie ein, „teilt EnBW die Bedenken der Bevölkerung- aber eine Tsunami oder ein solches Beben sei in Deutschland auch in den Auswirkungen undenkbar!“-
„ Warum, wenn die Bevölkerung durch die Atomkraft, eine solche Angst verspürt, gegebenenfalls Opfer einer ähnlichen Katastrophe zu werden, werden nicht alle Meiler vom Netz genommen?“
„Wissen Sie, was dann geschieht?“, fragt sie- verweist auf die regenerativen Energien, deren Ausbau, wie Speicherkraftwerke, noch mehr Akzeptanz in der Bevölkerung fordern würden.
Alles andere wäre Spekulation.
Auch ein Gau wäre Spekulation.
Wieder wird vom Bürger, über den Umweg der sinnlos gewordenen Politik, erhebliche Akzeptanz gefordert. Für den Profit einzelner Konzerne. Der Bürger wird letztendlich für die Probleme der Energiewirtschaft verantwortlich gemacht. Als besondere Beigabe zu den ohnehin sehr hohen Energiepreisen.
Dass sich die Bürger dieses Landes nur noch schwer mit der, von den regierenden Parteien vertretenen Lobbymeinung anfreunden können, entgeht dabei den Konzernen. Oder sie wollen es nicht wahrhaben.
Für den Gewinn tut eben jeder das Seine.
Die Atomlobby bekundet für einige Wochen Verständnis, aber ändern will die Kernkraftlobby an dem Status Quo erst dann etwas, wenn der Druck zum Ausstieg so groß ist, dass selbst die, die den Staat bislang für ihre Profite regelrecht benutzten, um sich die Kritik vom Hals zu halten, reagieren müssen.
Dann werden nicht möglicherweise unsichere Kühlsysteme neu untersucht, sondern alte abgeschriebene Industrieanlagen geschlossen. Ein vorhersehbares, politisches Bauernopfer.
Aber auch der viel beschworene Stresstest, erinnert ein wenig an griechische Banken, den die EU für Atomkraftwerke heute europaweit verhängte, scheint nur wieder ein wohl gewähltes, diplomatisches Schattengefecht.
Zwar wies Frau Kanzlerin Merkel die geäußerte Annahme des wahlkampftaktischen Geplänkels heute zurück, jedoch vermittelte sie den Eindruck, dass sie beginnt zu verstehen, dass Atomenergie weder sauber noch sicher ist, wenn entfesselte Naturgewalten toben. Denn aus einem Vortrag über das AKW Mülheim-Kärlich, Prof. Dr. Eckhard Grimmel bereits aus dem Jahr 1996 ging hervor: (Zitat): “ Das AKW Mülheim-Kärlich ist kein Einzelfall. Es ist repräsentativ für alle deutschen Atomkraftwerke. Kein einziges ist hinreichend gegen seismische Einwirkungen ausgelegt…..Denn im Norddeutschen Tiefland ist mit einem maximalen Magnitudenwert von M = 6 bzw. I = 8 oder 9 und in den übrigen Gebieten, besonders in der Rhein-Riftzone, von M = 6,75 bzw. I = 10 oder 11 zu rechnen (Ahorner 1989, S. 60/61). ……..
Außerdem darf nicht übersehen werden, dass selbst eine vorschriftsmäßige Auslegung eines Atomkraftwerks gegen das potenziell stärkste Erdbeben in einer bestimmten tektonischen Einheit noch keinen zuverlässigen Schutz gegen seismische Einwirkungen liefert.
Denn die Festkörperwellen, die vom Erdbebenherd abgestrahlt werden, sind komplexer Natur, und sie werden noch komplexer, wenn sie auf Bauwerke übertragen werden, die aus sehr verschiedenartigen Bau- und Funktionsteilen zusammengesetzt sind.“
Im Angesicht dieses öffentlich zugänglichen Dokuments, ist es schon gerade zu lächerlich, was die Betreiber äußern und die Bundesregierung dazu unternimmt, um den Teil von ca. 20 % der Energiegewinnung aus dem Strommix zu entfernen. Oder nicht oder nur zeitweise. Eben, wie in einem viel zitierten Moratorium.
Leider war keine kurzfristige Stellungnahme vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Gutachten von Professor Grimmel zu erhalten.
Der FDP-Präsidiumsbeschluss klingt in diesem Zusammenhang weit weg, von der eigentlichen Problematik. Bringt nur verständliche Anteilnahme und menschliches Mitgefühl für die geschundene, aber unsäglich tapfere und besonnene Bevölkerung Japans zum Ausdruck. Zeigt aber letztendlich die Hilflosigkeit der politischen Entscheidungen von einst.
Wirkt in diesen Tagen wie ein Pakt mit einem einbeinigen Teufel. Der einem zwar über Jahre folgte, aber dessen Schrecken man nie so recht loswurde.
Andere demonstrieren vor den Kameras der Fernsehanstalten, vor dem Kanzleramt in Berlin seltsame, plötzliche Einigkeit.
Aber die FDP unterscheidet sich von vielen anderen. Es wird ernsthaft über „eine Überprüfung und eventuelle Nachrüstung aller kerntechnischen Anlagen insbesondere in den europäischen Erdbeben-Gebieten zu forcieren; geplante neue Kraftwerksprojekte in Regionen mit der Möglichkeit schwerer Erdbeben sind jetzt kritisch zu überprüfen.“ nachgedacht.
Die Kernkraft jedoch weiterhin als eine Brückentechnologie gesehen, deren Ende ziemlich unbestimmt scheint.
Aber „ auch übertragbare Erkenntnisse aus dem Fall Fukushima und anderen außergewöhnlichen Schadensszenarien in diese Überprüfung einzubeziehen.“
Zumindest wird der Politik die Gefahr aus der Büchse der Pandora teilweise klar.
Das passt zum Slogan der FDP: „In der Gegenwart handeln. Für die Zukunft denken. Denken Sie mit.“ Das tut das Volk, auch wenn es für ein paar Wochen scheinbar beruhigt wurde.