Nach dem Erscheinen des ersten Artikels über einen der weltweit mysteriösesten Mordfälle der Nachkriegsgeschichte, erreichten uns zahlreiche Zuschriften. Einen herzlichen Dank für alle Tipps und Anmerkungen.
Wir bitten, den 1. Teil zuerst zu lesen.
Wer war die schöne Unbekannte?
Natürlich ist die Frage erlaubt, warum niemand die Isdal-Frau vermisst. Dieser Umstand befremdet doch sehr.
Gab es Menschen, fragte ein Leser, die einfach offiziell nicht existierten, sondern wie eine Schattenarmee durch den Kalten Krieg Europas huschten?
Das mag sein. Wir haben in unserer Recherche dazu keine Anhaltspunkte gefunden, die den Umstand verneinten oder bejahten.
Natürlich weist die Spur auch nach dem damaligen Jugoslawien. Zu den Machenschaften aus den Tagen Titos. Das würde sich mit dem decken, was Zeugen beobachteten, die meinten die Isdal-Frau wäre mit zwei Männern südländischem Aussehens zusammengetroffen. Das muss kurz vor ihrem Tod gewesen sein.
Ja, und Norwegen hat alles darangesetzt, die Spuren zu verwischen und zur Abschreckung für weitere sowjetische Spione, eine Geschichte nach der anderen erfunden, um dem wahren Grund aus dem Weg zu gehen. Aus der damaligen Sicht durchaus verständlich. Dazu zählt auch die Geschichte der beiden Scheck-Betrüger, die 1972 festgenommen wurden, die falsche Identitäten bei ihren Taten verwandten. In der Öffentlichkeit wurde diese Geschichte, die wie eine Legende eines ehemaligen 1976 pensionierten Polizeibeamten klang, nie geglaubt.
An Selbstmord konnte und wollte niemand glauben. Laut Obduktionsgutachten stand die Isdal-Frau, als das Feuer ausbrach. Sie konnte aber nach menschlichem Ermessen nicht mehr stehen, da sie eine letale Dosis Fenemal und Alkohol zu sich genommen hatte, freiwillig oder unfreiwillig, das ließ sich nicht mehr nachvollziehen. Sie erstickte an der eigenen Verbrennung. An einer Kohlenmonoxidvergiftung. Später, bei der Obduktion, wurde noch ein Hämatom im Nackenbereich gefunden, das von einem Schlag herrühren konnte, oder auch von einem Sturz gegen einen Baum.
Der wahrscheinliche Todeszeitpunkt war Montag, der 23. November 1970 gegen 10 Uhr.
Sicher war die Isdal-Frau in ihren letzten Stunden nicht alleine. In dem Hotel Hordaheimen in Bergen, wo sie das letzte Mal lebend gesehen wurde, kam es zu einem Treffen mit einem unbekannten Mann, dem sie sagte, dass sie sogleich kommen wollte.
Seit dem Tod der Isdal-Frau vor bald einem halben Jahrhundert hat sich die Welt verändert. Auch die Gesichter der Länder. Die Isdal-Frau war ein Produkt ihrer Zeit, das wird vergessen.
Ihr Tod kann, auch wenn der Täter sich stellen würde, nicht mehr gesühnt werden. Der Mord war in Norwegen nach 25 Jahren, 1995, verjährt.
Anhand einer Liste der Gegenstände, die aus den Koffern der Unbekannten und dem Fundort im norwegischen Isdal sichergestellt wurden, lassen sich zahllose Sachverhalte rekonstruieren. Auch aus ihrer beinahe schon hektischen Reisetätigkeit lassen sich heute Rückschlüsse ziehen. Zunächst führt die Spur der Isdal-Frau über ganz Europa, dann an die deutsch-französische Grenze zwischen Pirmasens und Baden-Baden.
Das ging aus der Zahnschmelz-Analyse 2016 hervor. Dort, im Umkreis, muss sie sich aufgehalten haben und auch die in den Koffern später aufgefundenen Zugtickets weisen zumindest den Weg Richtung Basel. Zweimal nutzte sie die Bahnstrecke Hamburg – Basel.
Dafür spricht auch der Fund der Karte von Südskandinavien vom Reise- und Verkehrsverlag, Stuttgart, aus dem Jahr 1970, glaubt man der Aservatenliste der norwegischen Polizei. Ihre Handschrift war eine französische, vielleicht war sie aus Belgien oder Luxemburg.
Der Schnittpunkt allerdings kann nur im Raum Baden-Baden liegen.
Davon kann man ausgehen, wenn die Tickets, die man in den Koffern der Schließfachanlage der NSB in Bergen fand, nicht gefälscht sind. Oder später dort platziert wurden. Es gibt eine Aussage eines Zeugen, der nicht näher in den Unterlagen erwähnt ist, der mehrere Personen mit den Koffern vor dem Fund durch die Kriminalpolizei Norwegens, zwei Tage nach dem Auffinden der Isdal-Frau, gesehen haben will.
In diesem Zusammenhang fand man neun Reisepässe. Aus den damaligen Ermittlungen geht nicht hervor, ob diese Pässe gefälscht waren oder Doubletten waren. Also, vom Staat ausgestellt wurden. Ob die Passformulare irgendwo gestohlen worden waren.
Was sie im Isdal machte, konnte natürlich mit dem streng geheimen norwegischen Seegeschoss-Pinguin, erklärt werden. An allen Orten, wo sie sich zu den Zeitpunkten aufhielt, wurden Versuche mit der neuartigen Rakete gemacht. Im November 1970 kreuzten sich die Wege mit zwei sowjetischen Agenten, namens Rubanov und Popov, wie die Sicherheitspolizei in Trondheim pflichtbewusst notierte. Ob die Personen sich trafen, lässt sich aus den Akten nicht mehr entnehmen.
Nach einer anderen Sichtweise war es anhand der Reisetätigkeit der als mehr als elegant bezeichneten, später im norwegischen Isdal unter mysteriösen Umständen aufgefundenen Frau, eine Möglichkeit, dass es sich um eine Edelprostituierte handelte, die einen bestimmten Kreis von Kunden in ganz Europa bereiste. Vielleicht auch eine Rauschgift-Kurierin, die wegen eines Geschäftes im Isdal unter die Räder geriet?
Nur die Namen, die die Isdal-Frau, wie sie später in Ermangelung der richtigen Identität genannt wurde, weisen auf eine Tätigkeit hin, die mit Nachrichtendiensten in der Hochphase des Kalten Krieges zu tun hatten.
Genevieve Lancier, Claudia Tielt, Vera Schlosseneck, Claudia Nielsen, Alexia Zarna-Merchez, Vera Jarle, Fenella Lorck und Elisabeth Leenhouwer, dazu kamen weitere Namen während der ersten Testphase der Pinguin Rakete: Die Unbekannte benutzte auf dieser Reise die falschen Namen E. Velding und L. Selling, das verlautete aus Kreisen des norwegischen Geheimdienstes.
Wahrscheinlich, um mögliche Spuren zu verwischen.
Der Sprache nach, wie Zeugen versichern, die sie zum Schluss, also im November 1970 sahen, kurz vor ihrem Tod, war sie Deutsche. Sie gab sich allerdings auch einem italienischen Galan, dem Fotografen Giovanni Trimboli gegenüber, der sie zum Essen eingeladen und in seinem Auto mitgenommen hatte, als südafrikanische Antiquitätenhändlerin aus. Das war wenige Tage vor ihrem noch mysteriöseren Ableben in der einsamen Schlucht.
Sicher war sie ein Kind aus der Zeit vor dem Krieg, geboren um 1926-1930, kannte den Beruf der „Verziererin“ in der Porzellanindustrie, die in Franken, nahe der damaligen tschechoslowakischen Grenze, in Selb und Umgebung, eine große Tradition hatte. Zumindest musste sie darüber kundig sein, vielleicht durch einen direkten Verwandten oder im Rahmen der so genannten Kinderlandverschickung Ende des 2. Weltkriegs.
Sie hatte, aus welchem Grund auch immer, merkwürdige Angaben auf Meldezetteln gemacht.
Darauf weist auch die Analyse hin, die Jahrzehnte später veranlasst wurde. Nach einer fast schaurigen Exhumierung. Man hat alles von der Frau, Fingerabdrücke, DNS, das Gebiss, das eher mehr Fragen aufwirft, als es diese beantwortet. Einige Quellen geben an, dass das Gebiss in Lateinamerika so bearbeitet wurde. Einen sicheren Hinweis darauf gibt es nicht, außer die Zeit der Unbekannten in Spanien, wahrscheinlich in der Gegend um Burgos, im Norden. Im Dezember 1970 kamen mehrere Nachrichten, dass die Zahnarbeiten in Italien oder Spanien ausgeführt worden waren.
Die Frage ist, erkennt jemand diese Arbeit?
Die Zähne dürften etwa drei Jahre vor ihrem Ableben bearbeitet worden sein.
Unterkiefer der Isdal Frau, Kripos Norge, 2019
Oberkiefer der Isdal Frau, Kripos Norge, 2019
Die Arbeit könnte auch in der damaligen Tschechoslowakei gemacht worden sein oder in der DDR. Das Gold allerdings weist auf eine Arbeit in der damaligen westlichen Welt hin. Wahrscheinlich in Deutschland.
Wer kann sich an dieses außergewöhnliche Gebiss erinnern?
Nächster Teil:
Führt die Spur nach Maribor im ehemaligen Jugoslawien?
Infiltrierte und exfiltrierte die schöne Unbekannte über Jugoslawien oder wahlweise die Tschechoslowakei? Der gesamte Fall weist auf die KoKo hin und auf deren internationalen Kunsthandel.